Der Ukrainismus: Wer konstruierte ihn und wofür. Teil I

Sergej Kurginjan und Kommune von Alexandrowskoje stellen die neue überarbeitete Ausgabe der kollektiven Monographie „Der  Ukrainismus: Wer konstruierte ihn und wofür“ vor.

Teil I „Der Ukrainismus: Der geschichtlich-politische und religiöse Kontext“ und Teil II „Der Ukrainismus: Das aktuelle internationale Game“ 

2014 ergriffen in Kiew bekennende Neo-banderisten die Macht. Das Massaker an Oppositionellen im Gewerkschaftshaus in Odessa. Achtjähriger Beschuss von Städten und Siedlungen in Donbass. Die Vorbereitung der Ukraine auf den Krieg gegen Russland seitens des Westens unter dem heuchlerischen Deckmantel vom Minsker Abkommen – alles unmissverständlich klargestellt sowohl durch die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch den ehemaligen französischen Präsidenten François Hollande. Und als Russland letzten Endes gezwungen wurde, die militärische Sonderoperation einzuleiten – Gewährung der neo-banderistischen Ukraine von allumfassender militärischer und politischer Unterstützung. Was ist und woher kam der ukrainische neonazistische Subjekt? Und warum wird ihm solch eine massive Unterstützung gewährt?

Schauen wir uns das über Jahrhunderte konstruierte künstliche Konstrukt, das den Namen „Ukrainismus“ trägt, an.

Im 9. Jahrhundert entstand der vereinte altrussische Staat. Ihn gründeten die aus Nowgorod stammenden Rurikiden. Das Zentrum dieses Staates war zuerst Kiew, dann Wladimir und schließlich Moskau.

Im 13. Jahrhundert wurde der altrussische Staat durch die mongolische Invasion geschwächt.

Zu der Zeit herrschte in dem westrussischen Fürstentum Galizien-Wolhynien der Fürst Daniel von Galizien – der Lieblingsheld der Befürworter des europäischen Entwicklungspfades der Ukraine. Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Alexander Newski, schloss er während der Suche nach Verbündeten gegen die Tataren ein Abkommen mit Rom und wurde vom Papst zum König der Rus (Rex Russiae) gekrönt. Jedoch war es für Daniel im Kampf gegen die Tataren keine Hilfe gewesen. Seine Nachfolger, die Fürsten von Galizien-Wolhynien, wurden zuerst im 14. Jahrhundert von Litauen und später vom polnisch-litauischen Staat Rzeczpospolita unterworfen.

1596 gelang es Rom, den orthodoxen Christen in den von der Rzeczpospolita beherrschten westrussischen Gebieten die Kirchenunion von Brest aufzuzwingen.

Anstifter für die Kirchenunion waren einige Wenige, die kürzlich zuvor von dem sich auf der Durchreise befindenden Patriarchen von Konstantinopel Jeremias II. zu kirchlichen Würdenträgern ernannt worden waren. Der erste Befürworter der Kirchenunion – der neuernannte Metropolit von Kiew Michail Ragosa – war für seine Nachgiebigkeit berühmt. Der zweite – Hypatios Pociej, Metropolit von Wladimir-Wolynsk und Brest, – war kurz zuvor sogar ein Laie von weltlicher Gesinnung. Die Priesterweihe erhielt er vom Bischof von Luzk und Ostroschsk – dem dritten, dem eifrigsten Unterstützer der Kirchenunion. Das Luzker Gericht leitete gegen Kirill von Terlezk mehrere Strafverfahren ein: Raub, Körperverletzung, Vergewaltigung und Mord. Einer der Verfahren beruhte beispielsweise auf einer Anzeige von Adam Zakrevski, der berichtete, dass er von Bischof Kirill überfallen worden war, als er durch das bischöfliche Landgut reiste: „Spät in der Nacht, als alle schon schliefen, erschien hier plötzlich Bischof von Luzk Kirill… Er fing an, Zakrevski zu beschimpfen, nahm ihm seinen Beutel mit Geld, sein Pferd, seine Fuhre und seine  Habseligkeiten weg und befahl ihm, alles zu seinem Hof zu bringen. Dann nahm er auch die Magd Palaschka [die Näherin, die Zakrevski begleitete] mit, brachte sie zu sich, schloss sich mit ihr in einer Kammer ein und vergewaltigte sie“.

Solche Hierarchen waren die Wegbegleiter der Kirchenunion. Sie baten persönlich den Apostolischen Stuhl um die Kirchenunion und eilten nach Rom, wo sie dem Papst ein Eid schworen.

Die orthodoxe Bevölkerung lehnte zwar die Kirchenunion vehement ab, musste sich aber dem Zwang fügen. Die daraus entstandene griechisch-katholische Kirche wurde schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem gehorsamen Instrument der päpstlichen Politik.

Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts befreiten die russischen Zaren nach und nach den größten Teil der westrussischen Gebiete von der polnischen Herrschaft.

Am Ende des 18. Jahrhunderts kam es zu den Teilungen Polens, das sich ständig im Krieg mit seinen Nachbarn befand. Russland holte einen weiteren Teil seiner alten Gebiete zurück. Die galizischen Gebiete fielen jedoch willkürlich an Österreich. In der Anmerkung vom Historiker Wassilij Kljutschewskij hieß es: „es wird erzählt, dass Katharina [II.] während der ersten Teilung über dieses  Zugeständnis weinte; während der zweiten Teilung, 21 Jahre später, sagte sie gelassen, dass nach einiger Zeit über den Austausch Galiziens mit dem Kaiser verhandeln werden solle, da dieses ihm ungelegen kommt´; doch auch nach der dritten Teilung behielt Österreich Galizien“.

Die Österreicher legten die galizischen Gebiete mit dem ihnen zugefallenem Kleinpolen zusammen und unterstellten sie der polnischen Verwaltung.

Das Galizische Schlachten 1846
Jan Nepomucen Lewicki. Das Galizische Schlachten 1846. 1871

Mitte des 19. Jahrhunderts wächst bei der österreichischen Obrigkeit die Besorgnis über die Erstarkung der Polen sowie über den drastischen Anstieg derer Proteststimmung. 1846 hetzten die Österreicher die galizischen Bauern gegen die Szlachta, den polnischen Adel, auf. Wiens Handlanger setzten Gerüchte in die Welt, dass die polnischen Adligen Übergriffe gegen die Bauern vorhätten, und dass der Kaiser die Zehn christlichen Gebote vorübergehend “aufheben” würde. Die Österreicher zahlten Geld für die Köpfe der ermordeten polnischen Adeligen. Westgalizien, dessen Bewohner überwiegend Masuren, d. h. polnische Bauern, gewesen waren, wurde zum Epizentrum des abscheulichen Gemetzels. Nichtsdestotrotz betrachten viele Forscher die damaligen Ereignisse als die Ursache für die Einnistung des ”Gens der Gewalt”, auch in den westukrainischen Gebieten von Ostgalizien. So hat der Sohn des damaligen Leiters der Polizei von Galizien, Leopold von Sacher-Masoch, der erste dokumentierte Fall und der Namensgeber des Masochismus-Phänomens, das Massaker in seiner Kindheit miterlebt. In seinem Roman: „Graf Donski. Eine galizische Geschichte. 1846“ beschrieb Sacher-Masoch die Bauern, die Adelige mit Sensen niedermetzelten. Der Roman ist voll von derartigen Schilderungen, „‚Schießt, schießt!‘ rief Korski; ehe es ihm aber gelang, seine schwerfälligen Pistolen herauszuziehen, war er von Sensen und Dreschflegeln niedergeschlagen“. Der zeitgenössische Forscher Larry Wolff weist darauf hin, dass das Galizische Schlachten nicht nur auf Sacher-Masoch als Kind, sondern auf ganz Galizien traumatisierende Auswirkungen hatte, „[…] Es gab in der Tat ein galizisches Substrat, das die persönlichen und literarischen Anomalien von Zacher-Masoch bedingte []. Die Jahre seiner galizischen Kindheit von 1836 bis 1848 waren nicht nur für ihn prägend und traumatisch, sondern auch für den historischen Verlauf Galiziens selbst“.

Österreichische Soldaten kaufen die Köpfe erschlagener Adliger von galizischen Bauern ab
Österreichische Soldaten kaufen die Köpfe erschlagener Adliger von galizischen Bauern ab (Gravüre). 1848

Erinnern Sie sich an das aufsehenerregende Propagandavideo, in dem eine ukrainische Frau in einer Wyschewanka (Stickerei) einen russischen Soldaten im Matrosenhemd genussvoll mit einer Sichel enthauptet? Diese ukrainische Frau mit einer Sichel wurde zum Symbol der heutigen Ukraine. Diejenigen, die dieses Video gedreht haben, beabsichtigten auf offensichtlichste Art und Weise das kollektive historische Gedächtnis zu wecken, das Bewusstsein zu erschüttern und die Ukrainer zu Gräueltaten gegen Wehrlose zu ermutigen. Und Gräueltaten an russischen Gefangenen folgten. Wie wir gesehen haben, werden im 21. Jahrhundert die Zehn Gebote für die Knechte wieder aufgehoben ‒ nur tritt jetzt anstelle vom Kaiser Ferdinand der Clown Selenskij hervor.

Das Gemetzel stoß viele in Galizien von den Österreichern ab und verstärkte damit auch die schon bereits vorhandene pro-russische Einstellung. Die österreichische Führung befürchte, dass die Bewohner dieser Gebiete sich an Moskau orientieren würden, und versuchte daher, sie zur Änderung ihrer Identität zu zwingen. Dazu gehörte auch die Ersetzung der Selbstbezeichnung “Russinen” durch die österreichische Bezeichnung „Ruthenen“.

Später erinnerte sich der Leiter der russophilen Bewegung, der Geistliche Iwan Naumowitsch an einen Besuch der russinischen Vertreter beim Statthalter von Galizien Franz von Stadion im April 1848: „1848 fragte man uns: Wer seid ihr? Wir sagten: Wir sind die gehorsamsten Ruthenen. (Mein Gott, wenn unsere Vorväter wüssten, dass wir uns selber mit dem Namen nannten, den uns unsere ärgsten Feinde während der Verfolgungen gaben, sie würden sich im Grabe umdrehen!) […] Wir schworen bei Leib und Seele, dass wir nicht Russinen, nicht Russen, sondern dass wir lediglich Ruthenen sind, dass unsere Grenze am Sbrutsch liegt, dass wir uns fernhalten von den sogenannten Russen, den unholden Schismatikern, mit denen wir nichts gemein haben wollen“.

Michał Czajkowski
Michał Czajkowski

Bald begannen die Polen sich aktiv mit der russinischen Frage zu beschäftigen. Die polnische Emigration ‒ das sogenannte „Hôtel Lambert“ des Fürsten Adam Czartoryski sowie solche seine Mitglieder wie Franciszek Duchiński und Michał Czajkowski ‒ erfanden den Mythos von den Kosaken-Ukrainern als „wahren Russen“, die sie dem asiatischen Moskau entgegenstellten. Die Rassenuntersuchungen des Polen Duchiński verkündeten, dass die Moskowiter weder Russen noch Europäer, sonder “Turanier” sind, d. h. dass sie generell zu einer anderen, asiatischen Rasse gehören.

Die Vertreter der Kiewer Kyrill-und-Method-Bruderschaft, darunter Taras Schewtschenko, stehen in enger Beziehung mit diesen polnischen Emigranten. In seinem Versepos „Gaidamaken“, der über den Kosakenaufstand von 1768 erzählt, ahmte Schewtschenko den Roman „Wernyhora“ von Czajkowski nach. Schewtschenkos Verleger Pjotr Iwanowitsch Martos erinnerte sich: „Ich stieß auf Czajkowskis Roman ‘Wernyhora’ in polnischer Sprache, der war in Paris herausgegeben. Ich gab Schewtschenko diesen Roman zum lesen; der Inhalt von ‚Gaidamaken‘ und die meisten enthaltenen Details wurden vollständig daraus übernommen“. Wobei bemerkt, Czajkowski fügte seinem Werk die Lüge über die vermeintliche Schuld Katharina II. am Aufstand sowie weitere Ammenmärchen hinzu. „Das Buch des Seins des ukrainischen Volkes“, das in der zeitgenössischen Ukraine als Manifest des ukrainischen Messianismus gilt, ist faktisch eine Kopie „Der Bücher des polnischen Volkes und der polnischen Pilgerschaft“ des polnischen Dichters Adam Mickiewicz.

„Gaidamaken“ von Taras Schewtschenko
„Gaidamaken“ von Taras Schewtschenko
„Gaidamaken“ von Taras Schewtschenko
„Gaidamaken“ von Taras Schewtschenko

Der eng mit dem „Hôtel Lambert“ verbundene polnische politische Publizist Stanisław Tarnowski, wies direkt darauf hin, dass die russischen Ukrainer zu Galizien und Polen herangezogen werden sollten: „Hier, in Galizien, sollten wir die russinische Nationalität nicht ausrotten, sondern kultivieren und pflegen und sie wird sich über dem Dnjepr konsolidieren. Hier, in Lwow, müssen wir ihr erlauben, sich zu entwickeln, und bald wird sie die Säfte von Wolhynien, Podolien und der Ukraine in sich hineinziehen. […] es wird Rus sein, aber eine Rus, [welches] brüderlich mit Polen [ist] und sich mit ihr einem gemeinsamen Werk widmet“.

Bei ihren Bestrebungen die russische Ukraine – Kleinrussland – von Russland abzutrennen und dem österreichischen Galizien einzuverleiben, setzten die Österreicher vieles daran, den Ukrainismus zu fördern.

1894 luden die Österreicher den kiewer Ukrainophilen Michail Grushewskij offiziell ein, um den Ukrainismus in Galizien zu verbreiten. Er wurde zum Professor für Geschichte an der Universität von Lemberg ernannt. In seinen Artikeln sowie von seinem Rednerpult aus verkündete Grushewskij ‒ und zwar auf „Ukrainisch“ ‒ über irgendwelche alte „Ukraine-Rus“ und „Ukrainer-Russen“. Neben der Erstellung seiner eigenen Version der „Geschichte der Ukraine“, implementierte Gruschewskij in die von ihm gebrauchte „Mova“ (ukrainische Sprache) eine Fülle von Galizismen und Polonismen, die seither fest in der ukrainischen Sprache verankert blieben.

Andreas Szeptycky und Wilhelm Franz Joseph Karl von Habsburg-Lothringen
Andreas Szeptycky und Wilhelm Franz Joseph Karl von Habsburg-Lothringen

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs schmiedeten die Österreicher Pläne, Kleinrussland zu besetzen und es an Galizien anzugliedern. Wien hatte auch einen eigenen Anwärter auf den ukrainischen Thron aus der Habsburger-Dynastie ‒ Wilhelm Franz Joseph Karl von Habsburg-Lothringen, der davon träumte, das Großfürstentum Ukraine zu übernehmen.

Unmittelbar nach Ausbruch des Krieges, am 15. August 1914, formulierte der den ukrainischen Nationalisten nahestehende griechisch-katholische Metropolit Andreas Szeptycky den Plan zur Angliederung von Kleinrussland an Galizien. In seinem Memorandum an das Ministerium des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern schlug er vor: „Sobalt eine siegreiche österreichische Armee das Territorium der russischen Ukraine betreten wird, werden wir eine dreifache Aufgabe zu lösen haben, die der militärischen, der sozial-rechtlichen und der kirchlichen Organisation des Landes: Die Lösung dieser Aufgaben muss theilweise jeder Friedenskonferenz vorgehen […] um diese Gebiete auf jede Eventualität möglichst einschneidend von Russland zu trennen, um ihnen den der Bevölkerung sympatischen Charakter eines von Russland unabhängigen, dem Zaren-Reiche fremden Nationalgebiet aufzuprägen“ [Rechtschreibung im Original].

Wladimir Giesl, Freiherr von Gieslingen, der Vertreter des österreichischen Ministerium des Äußern beim Armeeoberkommando, schickte bereits am 31. August 1914, nach Verhandlungen mit den Führern der ukrainischen Organisationen in Lemberg, dem Außenministerium [in einem Telegramm] eine Mitteilung. Laut dem Diplomaten hatte die ukrainophile Bewegung in der Bevölkerung keinen Halt, „Es sind nur Führer da und keine partei“ [Rechtschreibung im Original].

Wladimir Giesl, Freiherr von Gieslingen, der Vertreter des österreichischen Ministerium des Äußern beim Armeeoberkommando, schickte bereits am 31. August 1914, nach Verhandlungen mit den Führern der ukrainischen Organisationen in Lemberg, dem Außenministerium [in einem Telegramm]

Nach dem Einmarsch der russischen Armee in Galizien informiert Giesl die Führung über den massenhaften Übertritt der Russinen auf die Seite der russischen Truppen.

Der österreichische Heerführer Erzherzog Friedrich von Österreich-Teschen schrieb in einer Denkschrift an Kaiser Franz Joseph, dass die russischen Truppen von den Russinen als Befreier wahrgenommen würden und dass die Russen mit der vollen Unterstützung der Einheimischen rechnen können.

Während des Krieges wurden die Russinen wegen ihrer Unterstützung der Russen von den österreichischen Behörden brutal unterdrückt. Hierbei wurde fast die gesamte russophile Intelligenz sowie viele Tausende von Bauern ermordet. Die Russinen wurden auf der Grundlage von Listen verhaftet, die ihre ukrainophilische Nachbarn den österreichischen Behörden freundlicherweise bereitgestellt hatten.

Die Ermordungen von Russinen in Galizien
Die Ermordungen von Russinen in Galizien

Im August 1914, angesichts der russischen Offensive in Galizien, begannen dort die Massenrepressalien. „Aus Rache für ihre Misserfolge an der russischen Front ermorden und erhängen die fliehenden österreichischen Truppen in den Dörfern tausende russische galizische Bauern. Die österreichischen Soldaten tragen in ihren Rucksäcken fertige Schlingen mit sich und wo immer sie können, an den Bäumen, in Hütten, in Scheunen, hängen sie die Bauern, die sich als Russen identifizieren und deswegen von den Ukrainophilen denunziert werden, auf. Die Galizische Rus ist zu einer gigantischen und schrecklichen Golgotha geworden […]“, erinnerte sich später der in die USA emigrierte Komponist Elias I. Tziorogh.

Die überlebenden Russinen wurden in Internierungslager geworfen, die schrecklichsten von denen waren Thalerhof und Terezín/Theresienstadt. Die Gefangenen wurden wie Vieh behandelt: sie starben an Seuchen, wurden brutal gefoltert und bei der kleinsten Verfehlung getötet. Der Schriftsteller Wasilij Wawrik, ein ehemaliger Häftling von Thalerhof erinnert sich: „Thalerhof bekam ein für alle Mal die Bezeichnung der deutschen Hölle[nloch].[ …] Bis zum Winter 1915 gab es in Thalerhof keine Baracken. Die Menschen lagen bei Regen und Frost unter offenem Himmel auf dem Boden. […] Der Schlamm bot den besten Nährboden und reichhaltige Nahrung für unzählige Insekten. […] Der Priester Ioann Maschtschak notierte unter dem Datum des 11. Dezember 1914, dass 11 Menschen einfach von Läusen todgebissen worden waren“.

Folterungen von Russinen im Talerhof
Folterungen von Russinen im Talerhof

Die ukrainischen Nationalisten bereiteten ihrerseits eine Abspaltung von Russland im Voraus vor. Und unmittelbar nach der Oktoberrevolution erklärte die Ukrainische Volksrepublik (UNR) ihre Unabhängigkeit.

1918 im Rahmen des sogenannten, im Brest-Litowsk abgeschlossenen, Brotfriedens versprachen die Deutschen und die Österreicher der UNR militärische Hilfe. Im Gegenzug sollten die Ukrainer eine Million Tonnen Getreide sowie Fleisch, Eier usw. liefern. Die Mittelmächte versprachen, der UNR das besetzte russische Chełmer Land zu übergeben. Hierbei hat sich Österreich-Ungarn auch verpflichtet Ostgalizien Autonomie zu gewähren, welche die Russinen seit langem forderten. Diese Vereinbarungen wurden jedoch unter dem Vorwand, dass die UNR die geforderten Getreidelieferungen nicht fristgerecht erbringen konnte, nicht umgesetzt.

Kurz darauf zerfiel Österreich-Ungarn unter dem Druck der internen nationalen Probleme.

Die Deutschen hingegen führten ein Staatsstreich in der UNR durch und brachten ihren Protegé Hetman Skoropadskij zur Macht. Die UNR, unter Skoropadskij, wurde zu einem deutsche Marionettenstaat. Laut den unverblümten Worten des deutschen Botschafters in Kiew, Philipp Alfons Mumm, sollten die Deutschen gegenüber der von ihnen völlig abhängigen Ukraine “die Fiktion der Ukraine als eines s e l b s t ä n d i g e n mit uns befreundeten Staates” [Rechtschreibung im Original] aufrechterhalten.

Skoropadskij trifft Generalfeldmarschall Hindenburg und General Ludendorff im deutschen Generalstab. 9. September 1918
Skoropadskij trifft Generalfeldmarschall Hindenburg und General Ludendorff im deutschen Generalstab. 9. September 1918

Nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns entstand in den westukrainischen Gebieten die im historischen Vergleich kurzlebige Westukrainische Volksrepublik (SUNR). 1919 gelang es der UNR und der SUNR sogar, sich zu vereinigen. Doch schon bald verschwanden diese quasi-staatlichen Gebilde von der Weltkarte.

In den von Polen besetzten Gebieten Galiziens und Westwolhyniens wurden die ukrainischen terroristischen Organisationen aktiv ‒ die von ehemaligen UNR-Offizieren gegründete Ukrainische Militärorganisation (UWO) sowie ihre Nachfolgerin, die Organisation Ukrainischer Nationalisten* (OUN*). Seit den 1920er-Jahren hatten die ukrainischen Terroristen Verbindungen zu den deutschen Sicherheitsbehörden, die sie gegen die Polen einzusetzen beabsichtigten.

In Polen wurden die Nationalisten aktiv von der griechisch-katholischen Kirche unterstützt.

Z.B. arbeitete Andrej Melnik, ein UWO-Mitglied und einer der zukünftigen OUN*-Anführer, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis (1928) als Forstverwalter für die griechisch-katholische Kirche.

Andrej Melnik (Mitte)
Andrej Melnik (Mitte)

In Szeptyckys Sommerresidenz, im Gorgany-Gebirge, befand sich die metropolitane Forstverwaltung und da fanden auch Versammlungen der ukrainischen nationalistischen Jugendorganisation „Plast“ statt. Dankbare Plast-Mitglieder zeichneten den Metropoliten sogar mit einem „Hakenkreuz der Dankbarkeit“ aus.

Szeptyckys Sommerresidenz, im Gorgany-Gebirge
Szeptyckys Sommerresidenz, im Gorgany-Gebirge
Andreas Szeptycky nach der Auszeichnung mit dem „Hakenkreuz der Dankbarkeit“
Andreas Szeptycky nach der Auszeichnung mit dem „Hakenkreuz der Dankbarkeit“

Szeptycky stellte extra einen Geistlichen ab, der den in Polen inhaftierten Nationalisten helfen sollte. Dieser Geistliche, Josef Kladotschny, fungierte in Wirklichkeit als Mittelsmann. Später erinnerte sich Kladotschny mit Begeisterung an den Führer der ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera, „Er strahlte Willenskraft und Entschlossenheit aus, seinen Willen durchzusetzen. Wenn es einen Übermenschen gibt, dann war er tatsächlich von diesem seltenen Schlag, – der Übermenschen, und er war derjenige, der die Ukraine über alles andere stellte“.

Die griechisch-katholische Kirche gründete eine christlich-nationalistische Bewegung, die aktiv mit der Jugend arbeitete. Die katholischen Verbände durchliefen tausende von Galiziern. Die für solche Verbände zuständigen Priester machten alle möglichen Anstrengungen, um den westukrainischen Bewohnern unter dem Deckmantel des christlichen Nationalismus mit einer ultranationalistischen Ideologie zu indoktrinieren.

Seit 1930 wirkte in Galizien die Studentenvereinigung „Obnova“ [deutsch: Erneuerung]. Ihren Kern bildeten die Studenten des Theologischen Seminars von Lwow [Lemberg] und der theologischen Fakultät der Universität Lwow. Der Anführer von „Obnova“ war der griechisch-katholische Priester Nikolaj Konrad. Er wurde im selben Jahr von Szeptycky eingeladen, um an der Lwower Theologischen Akademie zu lehren.

In seinem Artikel „Nationalismus und Katholizismus“ schrieb Konrad: „Die moderne katholische und nationalistische Bewegung ist ein neuer Kreuzzug des Katholizismus mit der Parole: Ich glaube! So Gott will! und Nationalismus mit der Parole: Ich will! Voglio!… Das Schwert und das Kreuz – das ist die Hoffnung der Völker und der Menschheit auf ein neues, besseres Morgen, damit pax Christi in regno Christi herrsche“. Konrad versuchte, den Leser von Hitlers, Mussolinis und Goebbels’ Bestrebungen zur Verteidigung des Katholizismus zu überzeugen, und äußerte die inbrünstige Hoffnung, dass sich Religion und Nationalismus nach dem Vorbild Deutschlands und Italiens harmonisch vereinen würden als „zwei reine Töne der ukrainischen Seele zu einem Akkord.“

Nach der Machtergreifung durch die Nazis wurden die Beziehungen zwischen den ukrainischen Nationalisten und NS-Deutschland noch enger. Es war geplant, dass der ukrainische Aufstand mit der Besetzung des polnischen Territoriums durch Deutschland zusammenfallen sollte.

Dennoch schloss Deutschland 1939 einen Vertrag mit der Sowjetunion, laut dem die Westukraine in die sowjetische Einflusssphäre überging.

Die griechisch-katholische Kirche hielt sich nach der Übernahme der Westukraine durch die Sowjetunion bedeckt. Josef Slipyj, ein Schüler von Szeptycky, schrieb 1940 seine „Hauptregeln für die gegenwärtige Seelsorge“. Es handelte sich um eine detaillierte Anleitung, zum Lügen und dem Auskommen mit den Behörden. Ein Beispiel hierfür: „Einem Priester wird gedroht, dass er deportiert wird, wenn seine Tochter dem Komsomol nicht beitritt. Das Mädchen willigt dem Beitritt ein. In der Klasse fragt der Lehrer sie, ob sie wisse, dass es verboten sei, religiöse Rituale durchzuführen. Sie gibt eine vage Antwort, ‚Ich weiß, wozu ich mich verpflichte‘“.

Unterdessen arbeiteten die Nationalsozialisten an ihren Expansionsplänen gen Osten und bauten am Vorabend des [Zweiten] Weltrieges aktiv die Beziehungen zu den OUN*-Mitgliedern aus.

Im Februar 1941 wurde zwischen dem Leiter der Abwehr Admiral Canaris und Bandera eine Vereinbarung über die Ausbildung von 800 ukrainischen Kämpfern durch die Wehrmacht getroffen.

Unter den hochrangigen NS-Führern war es der Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, Alfred Rosenberg, der besonders eifrig den Kampf gegen die Russen mit Hilfe nationaler Minderheiten befürwortete. Am 2. April 1941 legte er Hitler eine Denkschrift vor, in der er vorschlug, das Gebiet der Sowjetunion in sieben Regionen aufzuteilen. Russland wurde in Rosenbergs Konzept durch das historische russische Zentrum ‒ Moskowien ‒ und die im Laufe der Jahrhunderte von ihm annektierten ethnisch fremden Gebieten dargestellt. Über die Ukraine schrieb Rosenberg: „Die politische Aufgabe für dieses Gebiet wäre die Forderung des nationalen Eigenlebens bis zur evtl. Errichtung einer Eigenstaatlichkeit mit dem Ziel, allein oder in Verbindung mit dem Dongebiet und dem Kaukasus als S c h w a r z m e e r b u n d Moskau stets in Schach zu halten und den grossdeutschen Lebensraum von Osten her zu sichern“ [Rechtschreibung nach Original].

Hitler gefiel die Idee von einem souveränen ukrainischen Staat nicht. Wenige Tage später legte Rosenberg eine weitere Denkschrift vor, in der er wesentlich schwammiger einen ukrainischen Staat vorschlug „der in einem engen, nicht lösbaren Bündnis mit dem Deutschen Reich steht“.

Die doktrinären Grundlagen für den „Drang nach Osten“ lieferte die am Anfang des Jahrhunderts entstandene Forschungsrichtung „Ostforschung“. Zahlreiche Institute waren auf diesem Forschungsgebiet tätig.

Wichtigen Platz im Netzwerk dieser Einrichtungen nahm das Osteuropa-Institut in Breslau ein. Es wurde von dem NSDAP-Mitglied Hans Koch geleitet. Koch war ebenfalls beim von Rosenberg geleiteten Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete angestellt. Es war Koch, der vor dem Krieg dafür zuständig gewesen war, Verbindung zu den OUN*-Mitgliedern aufzunehmen.

Hans Koch
Hans Koch

Ein weiterer Ostforscher war Theodor Oberländer. Zusammen mit anderen Autoren entwickelte er das Konzept, das die Umsiedlung und Vernichtung der Bevölkerung Osteuropas zum Zwecke der Germanisierung forderte. Oberländer trat für die Vernichtung der Juden in Polen sowie die Unterwerfung der Polen ein und wurde durch seine Aussage über acht Millionen Übervölkerung in Polen bekannt.

Theodor Oberländer
Theodor Oberländer

In Berlin wurde unter dem Schutzschirm der deutschen Behörden, das Ukrainische Wissenschaftliche Institut, unter der Leitung von Iwan Mirtschuk, eingerichtet. Unter den Mitarbeitern war ein Mitstreiter von Hetman Skoropadskij Namens Wjatscheslaw Lipinskij – der Autor des pro-faschistischen Konzepts der „Klassokratie“. Laut der Konzeption von Lipinskij existieren die „aktive Rasse“ von Herren und die „passive Rasse“ von Sklaven. Lipinskij schlug vor, in der Ukraine eine „klassokratische Monarchie“ zu errichten, die sich auf die „Ritter“-Kosaken – also das Hetmanat – stützen sollte. Am selben Institut arbeitete der Geograph Wladimir Kubijowitsch. Der ebenfalls am Institut beschäftigte Professor Zenon Kuzelja stand, laut den Berichten des sowjetischen Geheimdienstes, mit Rosenbergs Büro in Verbindung. Am Vorabend des Krieges war das Institut mit der Herausgabe von deutsch-ukrainischen Wörterbüchern für verschiedene Truppengattungen, Landkarten usw. beschäftigt.

Gemäß einer Vereinbarung mit dem Dritten Reich wurden die OUN*-Mitglieder Anfang 1941 in geheimen Schulen der Abwehr für die Teilnahme am Krieg gegen die Sowjetunion ausgebildet. Aus den ukrainischen Nationalisten wurden die Bataillone „Nachtigall“ und „Roland“ (diese wurden auch ukrainische nationalistische Gefolge genannt) aufgestellt. Diese waren der Spezialeinheit der Abwehr, „Brandenburg 800“, unterstellt. Der „Nachtigall“-Abwehrverbindungsoffizier wurde Oberländer. Der ukrainische Kommandeur war der ukrainische Nationalist Roman Schuchewitsch.

Hundertschaft aus der Südgruppe des Gefolges ukrainischer Nationalisten (Bataillon „Roland“)
Hundertschaft aus der Südgruppe des Gefolges ukrainischer Nationalisten (Bataillon „Roland“)

1941 marschierte das „Nachtigall“ Bataillon zusammen mit den deutschen Truppen in Lwow ein. Danach begann dort das Morden an Juden, Polen und Kommunisten.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht rief der Bandera-Anhänger Jaroslaw Stezko in Lwow den „ukrainischen Staat“ aus. Kost Pankivskij, der ukrainische Nationalist und Mitglied der frisch gewählten „Regierung“,  beschrieb dieses Ereignis folgendermaßen: „Gegen Mittag trafen auch die OUN*-Anführer in Zivilkleidung in Lwow ein: Jaroslaw Stezko, Jewgen Wrezion, Jaroslaw Staruchinskij und andere. Sie kamen mit Wehrmachtautos an, setzten sich mit ihren Leuten in der Stadt in Verbindung und fingen mit dem Zusammenrufen einer für den Abend angesetzten öffentlichen Versammlung im Gebäude der Organisation „Proswita“ an […]. Nach Stezko sprach lebhaft und temperamentvoll der Priester Grinjoch, der in der deutschen Offiziersuniform erschien. Er begrüßte die Versammlung im Namen des Kommandanten der Legion und seiner Soldaten. […] Von der örtlichen Lwower Öffentlichkeit sprach keiner, denn niemand war eingeladen gewesen und niemand hatte darauf gedrängt. Nur der Rektor, der Priester Slipyj, begrüßte die Versammlung im Namen des Metropoliten“.

Am nächsten Tag erschien die Ansprache des Metropoliten Szeptyckys an das ukrainische Volk. Diese lautete: „Wir grüßen die siegreiche deutsche Armee als den Befreier vom Feind. Wir erweisen der neu etablierten Führung den gebührenden Gehorsam. Wir erkennen Herrn Jaroslaw Stezko als Oberhaupt der Regionalregierung der westlichen ukrainischen Gebiete an“.

Hitler gefiel die übermäßige Eigenmächtigkeit der OUN*-Anführer nicht. Der ukrainische Staat wurde abgeschafft. Der OUN*-Vorstand wurde in einem Konzentrationslager inhaftiert, allerdings unter recht komfortablen Bedingungen. Gegen Ende des Krieges haben die Deutschen ihnen sowohl die Freiheit als auch Unterstützung gewährt.

Nebenbei wurden in der Ukraine die grundsätzlich kollaborationistische und den deutschen Behörden passende politische Institutionen geschaffen.

Eine der Eifrigsten von den kollaborationistischen Gebilden war das ukrainische Zentralkomitee mit Sitz in Krakau. Der Leiter des Komitees, Wladimir Kubijowitsch, arbeitete vor dem Krieg am Mirtschuks Institut in Berlin. Die Gründung dieses Komitees unterstützte Metropolit Szeptycky. Unter anderem war dem Komitee auch „Ukrainischer Verlag“ unterstellt, zu dem die absolut antisemitische Zeitung „Krakivs’ki visti“ [Deutsch: Krakauer Nachrichten] gehörte. Ihr Herausgeber war Mikhail Chomiak, der Großvater der derzeitigen stellvertretenden kanadischen Premierministerin Chrystia Freeland.

Generalgouverneur Polens und Reichsleiter Hans Frank und Kubijowitsch mit der ukrainischen Delegation beim Erntefest. Krakau, 1943
Generalgouverneur Polens und Reichsleiter Hans Frank und Kubijowitsch mit der ukrainischen Delegation beim Erntefest. Krakau, 1943

Ukrainische Soldaten aus den Bataillonen „Nachtigall“ und „Roland“ zeichneten sich durch brutale Kriegsverbrechen zuerst in der Ukraine und später in Weißrussland als Angehörige des Schutzmannschaft Bataillons 201 aus.

Die griechisch-katholische Kirche unterstützte aktiv alle kollaborationistischen Institutionen.

Jewgen Pobeguschtschij, der zunächst das Bataillon „Roland“ und dann das Regiment in der Waffen-SS-Division „Galizien“* kommandierte, besuchte Szeptycky, um von ihm gesegnet zu werden. „Wir müssen, ja, wir müssen unsere Einheiten bei jeder Gelegenheit und überall drillen und ausheben“ – erinnerte sich Pobeguschtschij an die Worte des Metropoliten, der die Aufstellung der Abwehr unterstellten Bataillone „Roland“ und „Nachtigall“ billigte. Dasselbe sagte er später zu Pobeguschtschij über die SS-Division „Galizien“*. Pobeguschtschij stand in ständigem Kontakt mit Szeptycky. In einem Brief vom 19. Mai 1942 teilte er dem Metropoliten mit: […] Wir, Ihre Kinder, sind alle wohlauf und erfüllen unsere Pflichten die Ausrottung des Bolschewismus“. Am Ende desselben Jahres schrieb er: „Ich danke Ihnen aufrichtig für die herzlichen Worte, mit denen Sie uns beschenkt und für den Kampf gegen die Bolschewiki gestärkt haben“.

Major der SS-Division „Galizien“* Jewgen Pobeguschtschij salutiert bei der Verabschiedung von Freiwilligen. Lwow, 1943
Major der SS-Division „Galizien“* Jewgen Pobeguschtschij salutiert bei der Verabschiedung von Freiwilligen. Lwow, 1943
Parade zur Gründung der SS-Division Galizien*. In der Mitte ‒ Kubijowitsch und Otto Wächter, Gouverneur des Distrikts Galizien. Lwow, 1943
Parade zur Gründung der SS-Division Galizien*. In der Mitte ‒ Kubijowitsch und Otto Wächter, Gouverneur des Distrikts Galizien. Lwow, 1943

1943 erhielt Wladimir Kubijowitsch, der Initiator der Gründung der SS-Division „Galizien“*, Szeptyckys Einwilligung zu ihrer Aufstellung. Kubijowitsch erinnerte sich an ein Gespräch „mit der höchsten Autorität für die Ukrainer, dem Metropoliten Andrej, und hörte aus seinem Munde: ‚Es gibt kaum einen Preis für die Erschaffung der ukrainischen Armee, der nicht bezahlt werden sollte‘“.

Unter den Freiwilligen der neu aufgestellten Division befanden sich viele, die zuvor im Bataillon „Nachtigall“ und in der Schutzmannschaft Bataillon 201 an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen waren. Die Einheiten der SS-Division „Galizien“* nahmen an Gewaltaktionen gegen die Zivilbevölkerung in der Westukraine, Polen und der Slowakei teil.

Die Schutzmannschaft Bataillon 201 (Roman Schuchewitsch im Vordergrund)
Die Schutzmannschaft Bataillon 201 (Roman Schuchewitsch im Vordergrund)

Nach seinem Dienst in der „Nachtigall“ und in der Schutzmannschaft Bataillon 201 gründete Schuchewitsch 1943 die Ukrainische Aufständische Armee (UPA*), die für ihre besonders grausamen Gräueltaten bekannt war. 1943 verübten die UPA*-Einheiten in Wolhynien ein Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung. Innerhalb weniger Monate wurden zehntausende Menschen getötet. Die Bandera-Anhänger haben Kinder, Frauen und alte Menschen nicht nur einfach getötet, sondern sie haben sie auf brutale Art und Weise vor der Tötung gefoltert und gequält.

Opfer des Massakers in Wolhynien
Opfer des Massakers in Wolhynien

1944, gegen das Ende des Krieges, schlugen Rosenberg und einige hochrangige SS-Offiziere ein Projekt zur Gründung des Ukrainischen Nationalkomitees vor. Rosenberg sprach sich für Skoropadskij als dessen Leiter aus und versuchte mit Bandera und Melnik darüber indirekt zu verhandeln. Die ukrainischen Nationalisten konnten sich jedoch damals darüber nicht einigen.

Stattdessen wurde mit Himmlers Unterstützung das Komitee zur Befreiung der Völker Russlands, unter der Leitung von Wlassow, gegründet. Rosenberg reagierte darauf sehr gereizt und schrieb in seinem Tagebuch: „Zuerst Akzeptierung meiner Konzeption vom April 1941: alle Völker einzuspannen, besonders die Ukrainer. […] Nach Aktivierung durch RFSS. [Reichsführer SS] mit voller Fahrt zu Wlassow. […] Die Opfer der anderen wird W[lassow] jetzt in das russische Kontobuch schreiben“.

1945 wurde dennoch das Ukrainische Nationalkomitee (UNK) auf Empfehlung Rosenbergs gegründet. General Pawel Schandruk wurde zu seinem Leiter ernannt. Kubijowitsch war sein Stellvertreter. Die SS-Division „Galizien“* wurde in die dem UNK untergeordnete 1. Division der ukrainischen Nationalarmee umgewandelt. Darauffolgend wurde später ständig auf den angeblich fehlenden Kollaborationismus seitens der 1. Division und des UNKs beharrt.

Nach dem Krieg wurden ehemalige Nationalsozialisten im Rahmen der Geheimoperationen „Paperclip“ und „Rattenlinien“ in die Vereinigten Staaten, nach Kanada und Lateinamerika, geschleust. Sie integrierten sich sehr schnell in die politischen und militärischen Strukturen der westlichen Länder, welche sie aktiv für den Kampf gegen die UdSSR während des Kalten Krieges einsetzten.

Die CIA und der britische MI6 begannen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Bandera-Anhängern zusammenzuarbeiten. Heute sind die Archive der CIA-Geheimoperation „Aerodynamic“ für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Die USA machten einen OUN*-Mitglied, Nikolaj Lebed, zum Leiter dieser Operation. Ursprünglich wurden kleine Gruppen zum Zweck der subversiven Aktivitäten in die Ukraine geschickt. Doch ab den 1950er-Jahren konzentrierte sich die CIA auf die Propagandatätigkeiten. Diese Arbeit wurde sehr effektiv unter dem Dach der Verlagsgruppe „Prolog“ durchgeführt. Diese beschäftigte sich mit der Einschleusung von nationalistischer Lektüre ‒ Publikationen wie etwa „Die Chronik der UPA*“ ‒ in die UdSSR, Ausstrahlung von Sendungen und Anwerbungen.

CIA-Dokument zur Geheimoperation Aerodynamic (aus dem freigegebenen Archiv)
CIA-Dokument zur Geheimoperation Aerodynamic (aus dem freigegebenen Archiv)

Die OUN*-Mitglieder und die westliche Nachkriegsführung lernten sich unter Mitbeteiligung des ehemaligen österreichischen Anwärters auf den ukrainischen Thron, Wilhelm von Habsburg, auch Wassil Wyschywanij genannt, kennen. Wilhelm hatte zu seiner Zeit eine sehr positive Einstellung zum Faschismus. Als er 1935 nach Österreich zurückkehrte, schrieb er in einem Brief: „Hier ist alles in Ordnung und das faschistische System und Ordnung und Ideologie das ist sehr angenehm“. Laut Roman Nowosad, einem OUN*-Mitglied, stand Wilhelm während des Krieges, in Wien, im ständigen Kontakt mit den OUN*-Mitgliedern. Unter anderem nutzte er seine Verbindungen in österreichischen Militärkreisen, um sicherzustellen, dass die Kämpfer des „Roland“-Bataillons ohne ausreichende Gefechtsausbildung nicht direkt an die Front geschickt wurden, und dass sie nach der Auflösung des Bataillons „ohne Repressalien“ zu ihrer studentischen Ausbildung zurückkehren konnten. Nach dem Krieg stellte Wilhelm den Kontakt zwischen den Franzosen [französischen Geheimdiensten] und Lebed her.

Die Ostforscher ‒ Hans Koch, Theodor Oberländer sowie Boris Meissner, Dietrich André Loeber und andere ‒ setzten sich nach dem Krieg aktiv gegen die Sowjetunion ein. Sie alle haben sich zutiefst mit dem Nationalsozialismus besudelt. Während des Krieges fungierte Koch als Mittelsmann zwischen den Nationalsozialisten und den ukrainischen Nationalisten. Oberländer wurde nach seinem Dienst bei der „Nachtigall“ zum Kommandeur des Sonderverbandes „Bergmann“ im Kaukasus ernannt und war für die Gewaltaktionen im Kaukasus mitverantwortlich. Loeber diente bei der deutschen Sabotageeinheit „Brandenburg 800“, welche den ukrainischen nationalistischen Bataillonen übergeordnet war. Meissner bekleidete leitende Stellen in einem Nachrichtendienst des Dritten Reichs und nahm an Gewaltaktionen teil. Ungeachtet dieser Tatsachen arbeiteten sie nach dem Krieg für das deutsche Auswärtige Amt in der deutschen Botschaft in Moskau und forschten an den Universitäten in Göttingen, Köln und Kiel.

Boris Meissner (ganz links). Kiel, 1963
Boris Meissner (ganz links). Kiel, 1963

In der Nachkriegszeit wurde München zum wichtigsten Zentrum der ukrainischen Nationalisten.

In München wurde das Osteuropa-Institut, welches vorher in Breslau ansässig gewesen war, von Hans Koch wiederbelebt. Dieses Institut veröffentlichte Werke ukrainischer Nationalisten, darunter die umfangreiche „Geschichte der ukrainischen Kultur“ von Mirtschuk. Wie die ukrainische nationalistische Zeitschrift „Phoenix“ schrieb, wurde dieses Werk in deutscher Sprache vom Osteuropa-Institut veröffentlicht, welches von „Dr. Hans Koch, einem bekannten deutschen Wissenschaftler und Freund der Ukrainer“ geleitet wurde. Einst ging der „Freund der Ukrainer” so weit, dass er ein Buch von Heinrich Härtle, dem ehemaligen Mitarbeiter von Rosenberg, unter einem Pseudonym veröffentlichte. Im Bundestag brach deswegen ein Skandal aus. Doch Koch kam wieder einmal ungeschoren davon.

In München leitete Iwan Grinjoch, ehemaliger Kaplan des Bataillons „Nachtigall“ und Lebeds Mitstreiter, eine Zweigstelle des CIA-geförderten „Prolog”-Zentrums.

In München tauchte Kubijowitsch unter, ein NS-Kollaborateur und Initiator der Gründung der SS-Division „Galizien“*. Dort reaktivierte er die Wissenschaftliche Gesellschaft „[Taras] Schewtschenko“, deren Mitglied Koch wurde. Später zogen Kubijowitsch und seine Mitarbeiter nach Sarcelles in Frankreich um, wo sie eine mehrbändige „Enzyklopädie der Ukraine“ verfassten.

In München ließ sich Jaroslaw Stezko, das ehemalige Oberhaupt des „ukrainischen Staates“, nieder.

Teilnehmer der ersten Konferenz des Europäischen Freiheitsrates. Jaroslaw Stezko (zweiter von links) und Theodor Oberländer (ganz rechts). München, 1967
Teilnehmer der ersten Konferenz des Europäischen Freiheitsrates. Jaroslaw Stezko (zweiter von links) und Theodor Oberländer (ganz rechts). München, 1967

Im Exil schritten Stezko und seine Frau Slawa energisch zur Tat. 1946 gründete Stezko den Antibolschewistischen Block der Nationen (ABN).

1958 hielt Stezko vor dem US-Kongress eine zweistündige Rede über „versklavte Völker“.

Bereits 1959 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz zur jährlichen Abhaltung der „Woche der versklavten Völker“. In diesem Gesetz wurden unter den „versklavten Völkern“ auch „Kasakia“ und „Idel-Ural“ genannt, – also Begriffe, die noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen.

Der unmittelbare Verfasser dieses Gesetzentwurfes war Lev Dobriansky, der Leiter des Ukrainischen Kongress-Komitee Amerikas (UCCA).

Catherine (Jekaterina) Chumachenko, die künftige Ehefrau von Wiktor Juschtschenko, der später ukrainischer Präsident wurde, war eine UCCA-Schülerin und Aktivistin.

Catherine Chumachenko (Mitte), Leiterin des UCCA-Büros des Nationalen Ukrainischen Informationsdienstes in Washington, und Jaroslaw Stezko. Juli, 1983
Catherine Chumachenko (Mitte), Leiterin des UCCA-Büros des Nationalen Ukrainischen Informationsdienstes in Washington, und Jaroslaw Stezko. Juli, 1983

Übrigens, Chumachenkos Freundin, Paula, war die Tochter von Dobriansky. Sie wird später sehr hohe Ämter in der US-Regierung bekleidet haben. Von 2001 bis 2009 während der Präsidentschaft von George W. Bush ward sie die Stellvertreterin des Staatssekretärs.

Stezko beteiligte sich bei der Gründung einer ganzen Reihe von antikommunistischen Strukturen der Schwarzen Internationale. 1966 riefen Stezkos „ABN“ und die „Asian People’s Anti-Communist League“ (vereinte die von den Amerikanern unterstützten asiatischen Rechten – den taiwanesischen Autokraten Chiang Kai-shek sowie andere) die World Anti-Communist League  (WACL) ins Leben. Der NS-Verbrecher Oberländer nahm regelmäßig an den Sitzungen dieser Liga teil.

1977 weitete Zbigniew Brzezinski, ein polnischstämmiger Sicherheitsberater von US-Präsidenten Jimmy Carter, die Propagandatätigkeiten von Lebeds höchst effektivem „Prolog“ auf andere nationale Gruppen in der UdSSR aus, darunter auch auf jüdische Dissidenten.

Am 19. Juli 1983 kamen Jaroslaw Stezko und andere ABN-Vertreter mit Präsident Reagan und Vizepräsident George Bush Senior im Weißen Haus zusammen. Während des Treffens hießen Reagan und Bush Stezko herzlich willkommen. Währenddessen sagte Reagan: „Ihr Kampf ist unser Kampf, Ihr Traum ist unser Traum“.

Jaroslaw Stezko und US-Vizepräsident George Bush Senior
Jaroslaw Stezko und US-Vizepräsident George Bush Senior

Es sind eben die Nazis, die die Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus energisch vorantreiben. 1986 gründete der Kanadier Markus Hess das „Schwarzband Tag Komitee“ [englisch: Black-Ribbon-Day]. Der Sohn eines deutschen Einwanderers schlug vor, den Tag des Abschlusses des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes[-abkommens] zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Kommunismus und des Nationalsozialismus zu erklären. Der Weltkongress der Ukrainer (WCU) stimmte seiner Initiative zu. Dieser Kongress wurde von dem griechisch-katholischen Priester Wasilij Kuschnir gegründet, der nach dem [Zweiten Welt-] Krieg den Angehörigen der SS-Division „Galizien“* mit dem Weg ins Exil verhalf. Zum Zeitpunkt der Initiative von Hess leitete diesen Kongress Pjotr Sawarin, ein ehemaliges Mitglied der SS-Division „Galizien“*.

Auch Slawa Stezko unterstützte die Initiative von Hess und seinem Mitstreiter David Somerville bei einem persönlichen Treffen. Ein Foto dieses Treffens veröffentlichte ein OUN*-Verlag.

reffen der Black Ribbon Day-Aktivisten Markus Hess und David Somerville mit Slawa Stezko. München, 1987
Treffen der Black Ribbon Day-Aktivisten Markus Hess und David Somerville mit Slawa Stezko. München, 1987

Otto von Habsburg, der Sohn des letzten österreichisch-ungarischen Kaisers Karl I., war ein langjähriger Unterstützer der Bandera-Anhänger bei ihren Initiativen.  Der österreichische „Erbe” pflegte in den 1930er Jahren enge Beziehungen zu den Austrofaschisten und traf sich heimlich mit dem Oberhaupt des austrofaschistischen Österreichs Kurt Schuschnigg. Nach dem Krieg wurde Otto von Habsburg zum aktiven Befürworter der europäischen Integration und zum Mitglied des Europäischen Parlaments. Zugleich arbeitete er aktiv mit Jaroslaw Stezko zusammen. Otto war viele Jahre lang Ehrenvorsitzender des sogenannten Europäischen Freiheitsrates (EFC), der eng mit Stezkos ABN verbunden war.

Am 13. Januar 1983, auf Initiative von Otto von Habsburg, verabschiedete das Europäische Parlament eine „Entschließung zur Lage in Estland, Lettland und Litauen“ ‒ den sogenannten „Baltischen Appell“. Die Entschließung unterstützte den Appell von 45 Einwohnern der baltischen Republiken an die UNO, die die Annullierung des Beitritts der baltischen Staaten zu der UdSSR forderten. Ermutigt durch die Resolutionsverabschiedung hielt Otto von Habsburg auf der Tagung des Europäischen Freiheitsrates eine Rede, in der er darauf hinwies, dass die „versklavten Nationen“ so ein Instrument wie das Europäische Parlament „zu ihrem Vorteil“ nutzen sollten.

Otto von Habsburg (stehend) spricht bei einem Treffen des Europäischen Freiheitsrates. Ganz rechts - Slawa Stezko
Otto von Habsburg (stehend) spricht bei einem Treffen des Europäischen Freiheitsrates. Ganz rechts – Slawa Stezko

Im selben Jahr, 1983, trat Otto von Habsburg auch dem internationalen UPA*-Ehrenkomitee bei. Dieses Komitee gründete Jaroslaw Stezko anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Organisation. Die Emigrantenzeitschrift „The Ukrainian Review“ berichtete: „Unter den vielen prominenten politischen und militärischen Persönlichkeiten aus der ganzen Welt, die sich bereit erklärt haben, Mitglieder dieses Ehrenkomitees zu werden und damit die gefallenen Helden der UPA* zu ehren, sind die folgenden: Seine Königliche Hoheit Otto von Habsburg, Mitglied des Europäischen Parlaments Ehrenvorsitzender des Europäischen Freiheitsrates (EFC) […]“. Weitere prominente Komiteemitglieder waren der hochrangige CIA-Angehörige im Ruhestand General John Singlaub, der US-Senator von Arizona Barry Goldwater und der ehemalige britische Kommandeur der NATO-Truppen in Nordeuropa Walter Walker.

Als Stezko Otto von Habsburg zu seinem Jubiläum gratulierte, wünschte er ihm „noch viele Jahre der erfolgreichen Tätigkeit bei der Befreiung der versklavten Völker vom russischen Joch“. Und anlässlich von Stezkos Tod schrieb Otto von Habsburg prophetisch, Stezko habe „Saat gesät, die ihre Früchte tragen wird“.

1989 fand das sogenannte „Paneuropäische Picknick“ statt, bei welchem sich Otto von Habsburg aktiv beteiligte. Dieses wurde zum Prolog der Vereinigung von West- und Ostdeutschland. Damals wurde das Grenztor zwischen Österreich und Ungarn in der Nähe von Sopron in beiderseitigem Einverständnis geöffnet. Infolgedessen flüchteten 600 DDR-Bürger durch dieses Tor, ohne von ungarischen Grenzsoldaten aufgehalten zu werden.

Otto von Habsburg zeigte sich gegenüber der Ukraine, deren westliche Gebiete einst Teil des Habsburgerreiches gewesen waren, besonders aufgeschlossen und bestand darauf, dass sie der Europäischen Union beitreten sollte.

Als Nächstes sei darauf hingewiesen, dass die Aktivität der ehemaligen  Nationalsozialisten ihren Beitrag zur Loslösung der baltischen Teilrepubliken von der UdSSR leistete. Im Mai 1989 organisierte Loeber höchstpersönlich in Tallinn eine Konferenz der „Volksbefreiungsfronten“, wo er einen Vortrag über den Molotow-Ribbentrop-Pakt abhielt. Ein Schüler von Meissner und Loeber ist der heutige Präsident Lettlands Egils Levits. Levits erzählte in einem Interview, wie diese Ostforscher sein Studium der Sowjetologie buchstäblich begleiteten, „Ich lernte Professor Loeber und Professor Meissner kennen, die meine akademischen Mentoren wurden. […] Kurz vor meinem Abschluss fragte mich Prof. Loeber: ,Wollen Sie als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kiel eingestellt werden?´ So begann meine Arbeit an der Juristischen-Fakultät. […] Als ich 1989 meine Vorlesungen beendete, dachte ich, ich müsste mir eine Stelle suchen, aber Professor Meissner rief mich an und fragte: ‚Möchten Sie am Institut für Deutschland- und Osteuropaforschung des Göttinger Arbeitskreises arbeiten?‘“

Dietrich André Loeber
Dietrich André Loeber

1990 bestimmte Bundeskanzler Helmut Kohl einen weiteren Ostforscher, Boris Meissner, als Teilnehmer der Delegation, die zwischen der BRD und der UdSSR über den Beitritt des vereinigten Deutschlands zur NATO verhandelte. Diese Verhandlungen, an denen Meissner als einer der Ideologen direkt beteiligt gewesen war, endeten damit, dass die Sowjetunion einseitig ihre Positionen aufgab und die NATO sich an die russischen Grenzen näherte.

Boris Meissner
Boris Meissner

1991, nach dem Zusammenbruch der UdSSR, reiste Slawa Stezko in die Ukraine ein. Sie wurde Mitglied der Werchowna Rada und gründete eine nationalistische Partei, namens „Kongress Ukrainischer Nationalisten*“ (KUN*), die viele Bandera-Anhänger heranzog. KUN*-Mitbegründer war der US-amerikanische Staatsbürger Roman Zvarych, der bereits 1979 zu Slawas Privatsekretär in München wurde.

Slawa Stetsko im Stepan-Bandera-Lager* der nationalistischen Organisation Trisub (dritter von links in der ersten Reihe - Dmitrij Jarosch)
Slawa Stetsko im Stepan-Bandera-Lager* der nationalistischen Organisation Trisub (dritter von links in der ersten Reihe – Dmitrij Jarosch)

„Orangener“ Maidan von 2004 brachte Wiktor Juschtschenko in der Ukraine an die Macht. Adrian Karatnycky, ein Mitglied der ukrainischen Diaspora und der damalige Leiter vom US Freedom House, pendelte zwischen den USA und der Ukraine und unterstützte die Organisierung des Maidans. Später beschrieb er seine Teilnahme an einem Trainingslager im August 2004, wo Maidan-Organisatoren ausgebildet worden waren: „Kroaten, Rumänen, Slowaken und Serben die Anführer der Gruppen, die die zivile Opposition gegen Milošević anführten brachten ukrainischen Kindern bei, wie die ,Temperatur’ protestierender Menschenmengen kontrolliert werden sollte“.

Adrian Karatnycky
Adrian Karatnycky

Doch wer waren die „ukrainischen Kinder”, die von Radikalen aus anderen Ländern ausgebildet wurden?


* eine Organisation, deren Tätigkeit in der Russischen Föderation verboten ist.

 

Der vorliegende Text ist die Übersetzung des Vortrags welcher sich mit der neuen überarbeiteten Ausgabe der kollektiven Monographie „Der Ukrainismus: Wer konstruierte ihn und wofür“ beschäftigt. Zuerst wurde der Vortrag in der Zeitung “Das Wesen der Zeit”, Ausgabe 524, veröffentlicht. Diese Forschungsarbeit wurde von den Mitgliedern der Kommune Alexandrowskoje verfasst und von den Mitarbeitern der Experimental Creative Centre International Public Foundation unterstützt.

Die Kommune Alexandrowskoje gehört zur Schule der höheren Bedeutungen der Bewegung “Das Wesen der Zeit“.

Dr. Sergey Kurginyan ist ein Theaterdirektor, Philosoph, Politikwissenschaftler und Leiter der Experimental Creative Centre International Public Foundation sowie der Bewegung “Das Wesen der Zeit”).

In seiner Rede über das Thema der Monografie “Der Ukrainismus: Wer konstruierte ihn und wofür”, erklärte Sergey Kurginyan, “Wir untersuchen den Ukrainismus, nicht die Ukraine. Unser Thema ist der Ukrainismus als Konstrukt. Die Entstehung dieses Konstrukts, seine Merkmale und Eigenschaften, seine sukzessive Umwandlung, seine Umsetzung und schließlich seine Aussichten – das ist der Schwerpunkt unserer Studie, die sich damit grundlegend von einer normalen historischen oder soziologischen Studie über eine normale Ukraine unterscheidet”.