Die CIA und die Bandera-Anhänger – Prolog zu einer Katastrophe?

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Nach Ansicht des CIA-Direktors machte die ideologische Einstellung der Bandera-Anhänger sie für Informationsbeschaffungen untauglich. Allerdings machte gerade diese Einstellung sie für die Durchführung von verdeckten Operationen, im Rahmen der psychologischen Kriegsführung auf dem Gebiet des potentiellen Gegners, genau passend.

Die US-amerikanischen Geheimdienste kooperieren mit den Bandera-Anhängern länger zusammen, als die CIA existiert. Dies wurde durch das 1998 verabschiedete Gesetz zur Offenlegung von NS-Kriegsverbrechen [englisch: Nazi War Crimes Disclosure Act] bekannt. Dieses Gesetz verpflichtete die CIA, die DIA [Defense Intelligence Agency, deutsch: Verteidigungsnachrichtendienst], das FBI und andere US-Geheimdienste dazu, etwa 8 Millionen Seiten Archivmaterial freizugeben. Auf der CIA-Website gibt es einen Freedom of Information Act Electronic Reading Room [deutsch: Elektronischer Lesesaal nach dem Gesetz zur die Informationsfreiheit], in dem die veröffentlichten Dokumente dem fleißigem Forscher zur Verfügung stehen.

Auf der Grundlage der veröffentlichten Materialien ergibt sich dann folgendes Bild. In Angesicht der endgültigen Niederlage NS-Deutschlands und seiner Satelliten hatten die Bandera-Anhänger keine Illusionen davon, was ihnen bei einem Treffen mit der militärischen Spionageabwehr der Roten Armee blüht, und so stürzten sie in Richtung Westalliierten. Dort versuchten sie, sich unter den zahlreichen Vertriebenen, Verschleppten sowie Zwangsarbeitern (u.a. aus der Ukraine), unterzutauchen. Das US Army Counterintelligence Corps [deutsch: Spionageabwehrkorps, CIC] und das Office of Strategic Services [deutsch: Amt für strategische Dienste, OSS] waren mit der Notwendigkeit konfrontiert 2,3 Millionen Vertriebene und Verschleppte, darunter etwa 250.000 Ukrainer, in der US-Besatzungszone zu filtern.

Den Mitarbeitern der CIC und OSS war es bereits vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges bewusst, dass das nächste Hauptziel der amerikanischen Geheimdienstaktivitäten die Sowjetunion sein würde. Daher entstand die Notwendigkeit zum Prüfen, ob bestimmte Gruppen unter den Vertriebenen für die Spionage gegen die UdSSR geeignet sein könnten. Bei der Rekrutierung wurden Agenturen aus den bestehenden antisowjetischen Organisationen bevorzugt, die über ein Netz von Kontakten im sowjetischen Gebiet verfügten. Der ungarische OSS-Berater Zsolt Aradi und sein OSS-Vorgesetzter Boleslaw Holtsman spielten die führende Rolle beim Aufbau einer Vorgehensstrategie gegenüber der ukrainischen Diaspora. Informationen über Holtsmans Herkunft und sein Background sind äußerst spärlich, aber die freigegebenen Dokumente machen es möglich ein Porträt von Aradi zu erstellen.

Zsolt Aradi wurde 1908 in Ungarn, in einer zum Katholizismus konvertierten jüdischen Familie geboren. Seine Bildung erlangte er in jesuitischen Bildungsstätten. Er war bei mehreren Journalen beschäftigt, sowohl katholische als auch säkulare. Im Juni 1941 wurde Aradi zum Presseattaché beim ungarischen Konsulat in Mailand und im Juni 1943 zum Presseattaché bei der ungarischen Vertretung im Vatikan. Dort arbeitete er unter der Leitung des Bischofs, Baron Vilmos Apor. Er nahm an den separaten Friedensverhandlungen zwischen dem ungarischen Horthy-Regime und den westlichen Alliierten teil. Im Juni 1944 wurde er durch das OSS angeworben.

Aradi nutzte seine Verbindungen im Vatikan, um Kontakt mit dem Priester Iwan Grinjoch aufzunehmen – dem griechisch-katholischen Kaplan des nationalistischen Bataillons „Nachtigall“. Die Truppe des Bataillons wurde aus den von Bandera angeführten Mitgliedern der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B)* rekrutiert. Während des Krieges fungierte Grinjoch auch als Mittelsmann zwischen dem für die ukrainischen Angelegenheiten zuständigen Berater des Vatikans, dem griechisch-katholischen Bischof Iwan Buchko, und ebenfalls griechisch-katholischen Metropoliten Andrej Sheptitskyj, der sich zu der Zeit in der Ukraine aufhielt.

1944 gründete die OUN-B* den sogenannten Ukrainischen obersten Befreiungsrat (UGVR) der als Kollaborationsregierung fungieren sollte. Grinjoch wurde zum Leiter der UGVR-Auslandsvertretung ernannt. Der UGVR sollte Kontakte mit dem Vatikan und den westlichen Regierungen herstellen. Nikolaj Lebed, der Anführer des Sicherheitsdienstes der OUN-B*, wurde zum Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten der UGVR ernannt. Yurij Lopatinskij fungierte als Mittelsmann zwischen der UGVR und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA)*. Diese drei wurden von dem OSS angeworben. Bereits 1946 bildeten sie den Kern der von dem OSS zusammengestellten Gruppe der ukrainischen Nationalisten.

Die US-Geheimdienste konnten sich lange nicht entschließen, wie sie ihre Agenten aus den Reihen der Bandera-Anhänger am besten einsetzen könnten. Die erste Idee war, kleine Gruppen von Fallschirmspringern mit Funkgeräten auszustatten und diese dann in die Westukraine zu schicken, um Informationen zu sammeln. Dieses OSS-Programm, mit dem Codenamen „Belladonna“, konnte ihre Zwecke nicht erfüllen, weil die sowjetische Spionageabwehr die eingeschleusten Spione erfolgreich abfing. Das Programm lieferte keine bedeutsamen Ergebnisse und wurde schnell beendet.

 

Ukraine. 1948. „AERODYNAMIC: die erste CIA-Geheimoperation. Hitlers Schatten [english: Hitler’s Shadow]“

Das parallel zu „Belladonna“ ablaufende Spionageabwehrprogramm „Lynx“ erwies sich im Vergleich relativ erfolgreich. Ziel dieses Programms war die sowjetischen Agenten unter ukrainischen Emigranten, mithilfe von ukrainischen Nationalisten, zu identifizieren. Während der Zusammenarbeit mit den ukrainischen Spitzeln bemerkte die amerikanische Spionageabwehr jedoch, dass Bandera-Anhänger nicht nur gegen mutmaßliche Agenten des sowjetischen Geheimdienstes, sondern auch gegen andere Emigranten, mit denen es zu ideologischen Differenzen kam, sehr gerne Gewalt anwendeten.

Unterdessen wurde der Aufenthaltsort von Stepan Bandera bekannt. Er befand sich in der amerikanischen Besatzungszone. Die sowjetische Besatzungsverwaltung stellte einen offiziellen Auslieferungsersuch an die amerikanische Besatzungsverwaltung. In einer Mitteilung an Washington schilderte Zsolt Aradi die Situation wie folgt:

„Es besteht kein Zweifel daran, was passieren würde, wenn die amerikanischen Behörden Bandera an die Sowjets ausliefern würden. Das würde für die Ukrainer bedeuten, dass wir als Organisation nicht in der Lage sind, sie zu schützen, d.h. wir würden an Autorität verlieren. In diesem Fall gäbe es für sie weder einen Sinn noch einen Grund mit uns zusammenzuarbeiten.

Einer der Gründe weswegen eine umfassende Zusammenarbeit zwischen UGVR und unserer Organisation noch nicht stattgefunden hat, ist der Verdacht derer Anführer, dass wir sie letztendlich “verraten” werden.

Von Anfang an beschwerten sie sich darüber, dass die Amerikaner kein wirkliches Interesse an ihnen hätten und dass die kommunistisch gesinnten US-Offiziere sie an Russland verkaufen würden. Diese Überzeugung wurde sowohl von Bandera-Anhägern als auch von den konservativ eingestellten Ukrainern gleichermaßen geteilt.

Meinem persönlichen Eindruck und meiner persönlichen Überzeugung nach, wird die Verhaftung von Bandera das sofortige Ende der Operationen „Belladonna“ und „Lynx“ bedeuten. Falls es zu der Entscheidung kommt, diese Männer und ihre Organisation nicht für nachrichtendienstliche Zwecke zu nutzen, wäre es besser, nicht nur Bandera, sondern alle Anführer, deren Namen und Aufenthaltsort uns bekannt sind, zu verhaften.“

Die amerikanischen Geheimdienste wollten sich nicht auf solche Art und Weise von den nationalistischen Agenturen trennen. Stattdessen wurde beschlossen, sie besser zu tarnen.

Gleichzeitig bekam die Führung der zu diesem Zeitpunkt bereits etablierten CIA den Eindruck, dass ihre Zusammenarbeit mit ukrainischen Nationalisten einem Koffer ohne Griff ähnelte – unbequem zu tragen und zu schade zum wegwerfen Dies galt, übrigens, für alle Emigrantengruppen aus der UdSSR. Der erste Leiter der CIA, Admiral Roscoe Hillenkoetter, beschrieb am 19. April 1948 vor dem Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten die Bedeutsamkeit der Emigrantenagenten wie folgt:

„Auf der Grundlage der Erfahrungen und sorgfältigen Analysen stellte die CIA die folgenden Merkmale bei jeder Gruppe aus der Masse der sowjetischen Emigranten fest:

Diese Gruppen sind höchst instabil und unzuverlässig, durch persönliche Rivalitäten und ideologische Differenzen gespalten und streben in erster Linie nach einer sicheren Position in der westlichen Welt.

Sie sind völlig außerstande, Informationen vom nachrichtendienstlichen Wert zu liefern, weil sie nur selten an brauchbare Informationsquellen innerhalb der UdSSR herankommen und in der Regel konzentrieren sie sich auf die Herstellung von äußerst tendenziösen Propagandamaterial, anstelle der Beschaffung von objektiver nachrichtendienstlicher Information.

Sie sind fast ausschließlich daran interessiert, ein Höchstmaß an Unterstützung (in der Regel seitens der USA) für ihre eigenen Propagandatätigkeiten zu erhalten, und bestehen auf die Bereitstellung umfangreicher finanzieller, logistischer, propagandistischer, kommunikativer und persönlicher Hilfe als Gegenleistung für vage und unrealistische Versprechungen über künftige Leistungen.

Jegliche gewährte Unterstützung nutzen sie sofort zu Werbezwecken bei ihren Kollegen und anderen Regierungen als tatsächliche offizielle (US-amerikanische) Unterstützung für die Durchsetzung ihrer persönlicher oder korporativer Interessen.

Das sowjetische Ministerium für Staatssicherheit sowie die Satellitengeheimdienste konzentrieren sich an diesen Gruppen zwecks politischer Kontrolle, Täuschung und Spionageabwehr. Die CIA verfügt inzwischen über ausreichende Daten, die darauf hindeuten, dass viele dieser Gruppen bereits erfolgreich von sowjetischen Geheimdiensten sowie Satellitengeheimdiensten infiltriert worden sind. Eine große Anzahl dieser Menschen kann in Friedenszeiten nicht wirksam eingesetzt werden.“

Er fügte jedoch hinzu, “Im Falle eines Krieges hingegen wäre die mögliche Nützlichkeit zahlreicher sowjetischer Emigranten für die US-Regierung von großer Bedeutung. Im Falle eines Krieges mit der UdSSR würde die US-Regierung Tausende solcher Menschen dringend benötigen.“

Mit zunehmender Enttäuschung der CIA über die Einsatzmöglichkeiten der radikalen ukrainischen Nationalisten bei den nachrichtendienstlichen Aktivitäten fand auch eine Neueinschätzung über die Aktivitätsrichtungen für die effektivste Einsetzen statt. Im Dezember 1947 wurden die Befugnisse der CIA durch die Richtlinie NSC-4A des Nationalen Sicherheitsrates erheblich erweitert. Laut dieser Richtlinie wurde die CIA mit der Aufgabe betraut, verdeckte Operationen der psychologischen Kriegsführung auf dem Gebiet des potentiellen Gegners durchzuführen. Nach Ansicht des CIA-Direktors, erwies sich gerade die ideologische Einstellung der Bandera-Anhänger als nützlich, welche sie für die Beschaffung von Informationen untauglich machte.

Vom Standpunkt der psychologischen Kriegsführung aus betrachtet, war die CIA vor allem an der UGVR-Auslandsvertretung interessiert, da diese als respektable Exilregierung dargestellt werden könnte. 1947 kam es zu einem Machtkampf zwischen den Gruppen Grinjoch – Lebed einerseits und Bandera – Stetsko auf der anderen Seite, der mit dem Ausschluss der UGVR-Auslandsvertretungsführung aus der OUN-B* endete. Das ermöglichte der Gruppe Grinjoch – Lebed sich reinzuwaschen, indem sie sich von der odiösen Figur Stepan Banderas distanzierten.

1949 beschloss die CIA, Nikolaj Lebed unter falschem Namen in die Vereinigten Staaten, ohne die Zustimmung des FBI, einzuschleusen, da das amerikanische Gesetz die Einreise von Kriegsverbrechern verbot. In New York richtete die CIA für Lebed ein gemeinnütziges Forschungs- und Verlagszentrum „Prolog“ ein. Die Aufgabe von „Prolog“ bestand darin, neue Richtungen für die antisowjetische und antirussische Propaganda zu entwickeln und Propagandamaterial zu erstellen.

 

Die Leitung und die Autoren des „Prolog-Zentrums“. Von links nach rechts: Nikolaj Lebed, Jurij Schewelew, Miroslaw Prokop, nicht identifizierte Person, Nina Ilnizkaja

 

Lebed erwies sich als effektiver Ideologe und Propagandist. Schon 1947, vor seiner Ankunft in den USA, verfasste er eine Broschüre mit dem Titel „UPA* (Ukrainische Aufständische Armee)*. In dieser Broschüre bescheinigte er der UPA* und der OUN* die Unschuld, indem er die Aufmerksamkeit der Leser auf die Auseinandersetzungen mit der Roten Armee und der Wehrmacht lenkte und die Konflikte mit den NS-Besatzern als Beweis für den angeblich fehlenden Kollaborationismus der Bandera-Anhänger anführte.

Lebeds Aktivitäten machten die ukrainischen Einwanderer in New York auf ihn aufmerksam, was zu Anzeigen beim FBI und der Migrationspolizei führte. Infolgedessen kam die Abschiebung von Lebed in Betracht, da er in Polen einer lebenslangen Haftstrafe wegen des Mordes am Innenminister Bronisław Pieracki im Jahr 1934 entfloh.

Die CIA nahm seinen Agenten in Schutz, “Da diese Person uns wegen ihrer liberalen und demokratischen politischen Ansichten und ihrer Arbeit als rechtmäßiger Außenminister der antisowjetischen Untergrundregierung in der Ukraine bekannt ist, sind wir der Ansicht, dass keine gerechtfertigten Gründe für seine Abschiebung bestehen, die die schwerwiegenden politischen Folgen seiner Abschiebung unter den antisowjetischen Emigranten weltweit aufwiegen könnten.“

Darauf erwiderten das FBI und der Immigration and Naturalization Service [deutsch: Einwanderungs- und Einbürgerungsbehörde] mit Hinweisen auf Anzeigen von ukrainischen Migranten, in denen detailliert Lebeds Ausbildung bei der Gestapo und später folgende direkte Beteiligung an Massenmorden und brutaler Folter während seiner Zeit als Leiter des OUN-B*-Sicherheitsdienstes.

Die CIA konterte, “Uns stehen keine Informationen zur Verfügung, die darauf hindeuten, dass er an Aktivitäten beteiligt ist, die den Interessen der USA schaden.“

Um den Skandal herunterzuspielen, bedürfte es im Endeffekt des direkten persönlichen Eingreifens des stellvertretenden CIA-Direktors Allen Dulles. Dieser rechtfertigte Lebeds Einschleusung mit seiner angeblichen Bedeutsamkeit für die nationale Sicherheit und bestand auf den Privilegien der Behörde, in Bezug auf die Einfuhr von besonders wertvollen Agenten gemäß dem CIA-Act von 1949. Schließlich wurde dem ehemaligen Leiter des Sicherheitsdienstes von Stepan Bandera erlaubt, in den Vereinigten Staaten zu bleiben, und 1957 erhielt er sogar die US-Staatsbürgerschaft.

 

Nikolaj Lebed, 1947

 

Mit der Veröffentlichung von Zeitungen, Zeitschriften, Pamphleten, Büchern und Radiosendungen erweiterte „Prolog“ ständig seine Tätigkeitsfelder. Parallel dazu entwickelte sich „Prolog“ zum Koordinationszentrum zwischen ukrainischen Emigranten im Westen und der UdSSR. Die verhältnismäßige Liberalisierung der Einreisebedingungen für Ausländer in die Sowjetunion in den frühen 1960er-Jahren beschleunigte diese Entwicklung. Auf diese Weise wurde eine Brücke zwischen der von der CIA-unterstützten Organisation und Dissidentenkreisen in der UdSSR geschlagen, in deren Häuser dann die Lektüre von „Prolog“ überschwappte.

In seinen heuchlerischen Bemühungen, die Bandera-Anhänger reinzuwaschen und die Sowjetukraine zu diffamieren, ging „Prolog“ so weit, dass Lebed im Namen der UGVR-Auslandsvertretung die 1964 von der Akademie der Wissenschaften der UdSSR veröffentlichte Publikation mit dem Titel „Der ungeschminkte Judaism“ verurteilte. Antisemitismus in der UdSSR war weiterhin eines der Hauptthemen für das „Prolog“.

Sehr rege Lobbyarbeit für dieses Programm betrieb Zbigniew Brzezinski, der Sicherheitsberater vom Präsidenten Jimmy Carter. Er hat die Bestrebungen dieses Programms sehr geschätzt und setzte sich aktiv für dessen Ausweitung ein. Die Prolog-Propagandatätigkeit, im Rahmen der psychologischen Kriegsführung, ging über das rein ukrainische Publikum hinaus und schloss sich teilweise mit den Aktivitäten der exilrussischen Organisation NTS (Bund der russischen Solidaristen) zusammen – ebenfalls unter dem Schirm der CIA.

„Prolog“ war nicht nur mit externen Propaganda und psychologischen Kriegsführung beschäftigt, sondern bestrebte auch die antisowjetische Radikalisierung der ukrainischen Emigration im Westen. Als Beispiel hierfür dient die Meinungsbildung des ersten US-Botschafters in der Ukraine, Roman Popadjuk.

Roman Popadjuk wurde 1950 in Österreich geboren. Er kommt aus einer Familie der vertriebenen Westukrainer, die später nach New York zog. Während der Präsidentschaft von Ronald Reagan bekleidete er eine Reihe von Posten im Außenministerium und im Nationalen Sicherheitsrat. Später wurde er vom Präsident George W. Bush zum ersten US-Botschafter in der Ukraine ernannt. In dieser Position verblieb er bis 1993.

Während seiner Amtszeit als Botschafter erhielt die US-Politik den ersten Impuls zur Anschließung der Ukraine in den Einflussbereich der NATO. Gleichzeitig begannen ukrainische nationalistische Emigranten massenhaft in die Ukraine zurückzukehren, darunter die Witwe von Jaroslaw Stezko, die ihren Mann als Vorsitzenden der OUN-B* und des von ihm gegründeten Antibolschewistischen Blocks der Völker (ABN) ablöste. [Der Antibolschewistische Block der Völker entstand auf einer Konferenz der “versklavten Völker”, die 1943 auf Initiative der Bandera-Anhänger im Rowner Gebiet stattfand. Angesichts der drohenden Niederlage NS-Deutschlands beschlossen sich die NS-Kollaborateure, aus verschiedenen Sowjetrepubliken, zu vereinigen – Kommentar des Übersetzers] 1992 gründete sie den Kongress Ukrainischer Nationalisten in der Ukraine.

Am 10. April 2022, in einem CNN-Interview, kritisierte Popadjuk alle US-Präsidenten, von Clinton bis Trump, wegen ihrer Politik gegenüber der Ukraine und wegen übertriebener Vorsicht und fehlender Bereitschaft, Russland zu reizen. Nach Ansicht des ehemaligen Botschafters, war die Reaktion der NATO auf die russische Sonderoperation zur Entnazifizierung der Ukraine „zu sehr von der Angst vor einer nuklearen Eskalation geprägt“.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hillenkoetter bereits beim Beginn der Zusammenarbeit zwischen der CIA und den ukrainischen Nationalisten feststellte, dass diese „sich auf die Herstellung von äußerst tendenziösen Propagandamaterial konzentrieren anstelle der Beschaffung von objektiver nachrichtendienstlicher Information“. Daher sind sie als Informationsquellen für strategische Entscheidungen nicht vertrauenswürdig. Stattdessen hat die CIA die Neigung der Bandera-Anhänger, Propagandamaterial für die psychologische Kriegsführung zu produzieren, erfolgreich ausgenutzt.

Dabei wird allerdings die Gefahr des Echoraum-Effektes offensichtlich – eine zu Propagandazwecken abgegebene Erklärung beginnt sich selbst zu verstärken. Ab einem gewissen Zeitpunkt könnte die propagandistische Natur der Aussage außer Acht gelassen und dieser bereits selbst ernsthaft geglaubt werden.

Die politisch aktive ukrainische Emigration hat durchaus Einfluss in den USA. Ihre Vertreter, unter anderem auch aus den Reihen der Fachkräfte oder Experten, wurden weitgehend durch die Propagandamaterialien von „Prolog“ geprägt. In einigen Fällen sind sie einfach ehemalige Mitarbeiter von „Prolog“.

Wenn in den Berichten aktueller US-amerikanischer und britischer Denkfabriken propagandistische Klischees durchschallen, die ein falsches, zu Gunsten der gegen Russland gerichteten Vorgehensweise der ukrainischen Armee und der nationalistischen Bataillone, Bild wiedergeben, stellt sich die Frage, ob die Berichtsautoren diese Klischees aus ideologischen Gründen verwenden oder ob sie wirklich an diese Behauptungen glauben?

Die durch vorgefasste Klischees geprägten Expertenempfehlungen haben mit der Expertise als solcher nichts zu tun. Der Versuch, solche Empfehlungen zu befolgen, wie z.B. bei der eigenen Vorgehensweise sich nicht “zu sehr von der Angst vor einer nuklearen Eskalation prägen” zu lassen, kann zu katastrophalen Ergebnissen führen, Angesichts des höchsten Einsatzes in dem laufenden Wettkampf, gilt das nicht mehr nur für den Zuhörer, sondern ‒ für die ganze Welt.

* — Organisation, derer Tätigkeit in der Russischen Föderation verboten sind.

 

Der vorliegende Text ist die Übersetzung des Artikels von Lew Korowin, der  zuerst in der Wesen der Zeit Zeitung, Ausgabe 477 erschien.

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