In den letzten Monaten ist eins der am meisten diskutierten Themen in den europäischen Massenmedien das Thema der Massenströmungen der Flüchtlinge in die Europäische Union. Die EU trägt bereits jetzt eine Menge von Unkosten, nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ideologische, denn: die Flüchtlinge problematisieren die allgemeine westliche Einstellung mit dem Namen „Multikulturalismus“.
Der Begriff „Multikulturalismus“ wurde als erstes in Kanada in den 60-ger Jahren des 20. Jahrhundert während der politischen Verschärfung in Québec und der Bedrohung des Separatismus benutzt, und bereits in den 70-ger Jahren fing man an, den Multikulturalismus zu erproben. Gleichzeitig wurde damals diese Idee auch in anderen westlichen Ländern populär, die USA einbegriffen, wo das Prinzip des Multikulturalismus das bekannte Prinzip des „Schmelztiegels“ (Orig. „Melting Pot“) ersetzte. Das bedeutete einen Übergang von einer Assimilationspolitik zu einer Politik paralleler Existenz der Kulturen, wo man verschiedenen ethnischen, konfessionellen und anderen kulturellen Gruppen breite Rechte und Möglichkeiten auch in der Politik bietet. Zusammen mit der Idee der „Toleranz“ ist das heute eine allgemein anerkannte Idee bei den westlichen Ländern bezüglich der Frage der interethnischen und interkulturellen Beziehungen.
So eine schöne und auf den ersten Blick elegante Lösung des Problems durch den Multikulturalismus, welches sich dann auch noch besonders praktisch in die Globalisierungsparadigma einschmiegt fängt dennoch an, im 21. Jahrhundert in Brüche zu gehen. Das wurde erstmal nur von den besonders aufmerksamen Forschern bemerkt, aber zum Jahr 2010 fingen bereits mehrere europäische Staatsoberhaupte an, über den Zerfall der Multikulturalismuspolitik zu reden. So zum Beispiel auch Angela merkel in ihrer Rede in Potsdam. “Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!”. Danach geschahen zwei bedeutende Ereignisse, die die ganze Idee des Multikulturalismus in Zweifel setzten.
Das Erste Ereignis – die Terroraktion am 22. Juli im Jahr 2011, die vom Norweger Anders Breivik auf Grund von Rassenhass durchgeführt wurde. Etwas später publizierte Breivik sein Manifest, der voll mit nazistischen Ideen, und der unter anderem auch eine rasende Kritik gegenüber der Politik des Multikulturalismus beinhaltete. Breivik bekam eine präzedenzlose weiche Strafe (21 Jahre im Gefängnis) und … führt aus dem Gefängnis weiter seine politische Tätigkeit.
Das Zweite Ereignis – ist die Terroraktion im Office der Redaktion der provokativen französischen Zeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015. Beim Angriff wurden 12 Mitarbeiter des Verlages umgebracht, der Beweggrund – die Publikation von Karikaturen auf den Islam und den Propheten Muhammed, sowohl als auch die Karikaturen auf die Anführer von ISIS. Dieses Ereignis, wie vielen bekannt, hat eine präzedenzlose Unterstützung der „Charlies“ hervorgerufen. In Frankreich wurden reihenweise Demos und Manifestationen, auch mit europäischen Staatsoberhäuptern durchgeführt. Die wohl massivste Demonstration – der Marsch der Republik – sammelte 2 Millionen Menschen. Es entstand der Slogan „Ich – Charlie“ („Je suis Charlie“), die Solidarität mit „Charlie Hebdo“ bekunden soll, aber im Wesentlichen bedeutet es die Genehmigung, beleidigend gegenüber anderen fremden religiösen und kulturellen Werten aufzutreten. Danach folgten Aussagen, dass die Wortfreiheit höher stünde, als diese kulturellen Besonderheiten und Werte. So eine Solidarität mit solchen Provokateuren, man muss die Sachen ja beim Namen nennen, ist nichts anderes, als eine sich selbst entfaltende Provokation. Und praktisch hat die Geschichte mit „Charlie Hebdo“ ein dickes Kreuz auf der auch sonst bereits schwachen Idee des Multikulturalismus gesetzt. Die Terrorismusakten in Paris am 16. November sind ein weiteres Ereignis, die den Trend jedoch nur bestätigen. Der Multikulturalismus ist an seine ideologischen Grenzen gekommen. Die Frage ist, was danach passiert und wie man dieses Problem lösen kann.
Der Multikulturalismus – und das wurde lange als seine starke Seite ausgewiesen – ist eines ideologischen Überbau entzogen, dieser wurde ersetzt durch ein Prinzip des friedlichen Miteinanderlebens der verschiedenen Ethnien, Kulturen und Religionen. Reguliert wird es entweder rein juristisch oder mit repressiven Maßnahmen. Und im Unterschied zu der Assimilationspolitik des Zeitalters der klassischen Moderne, wo alles auf der Aussage aufbaute, dass sich jede Nation auf der Leiter der Entwicklung bewegen kann, genau wie auch der progressivere Teil der westlichen Gesellschaft, wird in der neuen Paradigma „der Bürde des weißen Mannes“ auf die Entwicklung für alle verzichtet. Die sogenannte „Bürde des weißen Mannes“ (orig. „White Man’s Burden“) war ein Gedicht im späten 19. Jahrhundert, das die Einstellung der entwickelten europäischen Nationen, diese Entwicklung weiter zu tragen. Das war die „Bürde des weißen Mannes“. Man kann mehr darüber hier lesen.
Und im Unterschied zu damals, beinhaltet die heutigen „Bürde“ das Recht von primitiven Kulturen weiterhin primitiv zu bleiben, also für das Recht auf Nicht-Entwicklung und auf sogar Archaisierung gekämpft. Somit existieren die Vertreter der verschiedenen Kulturen zusammen nicht, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, denn dieses Ziel gibt es überhaupt nicht, sondern sie sind sich selbst überlassen in einem gewissen juristischen Rahmen.
Gleichzeitig kommt das Prinzip des Multikulturalismus immer öfter in einen Gegensatz mit dem für den Westen grundlegenden Prinzip der Wortfreiheit, und somit wird eine sehr explosive kulturelle-juristische Mischung geschaffen. Was sind allein die Vorfälle in den USA mit den Werbeplakaten wert, wo man aufrief, Juden umzubringen, welche das Gericht erlaubte, weil sie dem Prinzip der Wortfreiheit entsprachen. Oder die jüngsten Ereignisse mit dem türkischen Politiker Perinçek, der den Fakt des armenischen Genozids leugnete, was ebenfalls vom Europäischen Gericht als Wortfreiheit eingestuft wurde. Selbstverständlich hat dieser Übergang von irgendwelcher Ordnung im Rahmen des Multikulturalismus in einen kompletten Durchfall der in Theorie und auch in Praxis die internationalen Spannungen nur angefacht.
Aber das wichtigste fing erst später an. Egal wie heftig die Taten von Breivik und „Charlie Hebdo“ waren, sie waren im Endeffekt schwächer, als die andauernde Situation mit den Flüchtlingen, die nach Europa in diesem Jahr 2015 strömten. Während die Terroraktionen der Gesellschaft die fundamentale Schwäche des Multikulturalismus offenbarte, so sind die Flüchtlingsströmungen eine dauernde und immer wachsende Erprobung (genauer könnte man auch „Folter“ sagen) der Gesellschaft durch den Multikulturalismus. Und das Zweite ist weitaus bedeutender.
Der Flüchtlingsstrom nach Europa fand allmählich statt, aber zum Sommer 2015 nahm es massive Ausmaße an. Die Gründe dafür sind allgemein bekannt: eine scharfe Verschlechterung der Situation und Verhältnisse in den afrikanischen Ländern und im Nahen Osten, die Konsequenzen des „Arabischen Frühlings“ und die darauffolgende Bürgerkriege, die Verbreitung des radikalen Islamismus anhand vom Islamischen Staat. Was alles im Wesentlichen das Resultat der Außenpolitik der USA und deren NATO-Partner ist. Diese Partner tragen jetzt auch den größten Teil der Kosten im Sinne der Flüchtlinge. Aber außer den USA, die nicht nur keine Flüchtlinge aufnehmen, sondern durch die Flüchtlinge ihren Konkurrenten – die Europäische Union – mit so einer Situation schwächen, gibt es noch eine andere Seite, die davon profitiert. Diese werden wir etwas näher betrachten.
Was besonders beängstigend ist an dieser Situation ist das starke Wachstum des Extremismus und Verbrechen, die aufgrund von Rassenhass geschehen. So wurde anhand vom Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates Nils Muižnieks in 2014 in der BRD insgesamt 512 Verbrechen fixiert aufgrund von rassistischen und nationalistischen Motiven, und für das erste Halbjahr 2015 sind es bereits 473. Und das obwohl die Situation mit den Flüchtlingen sich nicht im ersten Halbjahr 2015 zugespitzt hat, sondern erst im Sommer. In Deutschland – eines der attraktivsten Länder im Sinne von sozialen Leistungen und Lebensniveau für die Flüchtlinge – kommen fast wöchentlich Meldungen über Pogrome und Brandstiftungen der Flüchtlingslager, die von rechtsradikalen Gruppen durchgeführt wurde. Ähnliche Vorfälle gibt es auch in Finnland: zum Beispiel, am 25. September wurde ein Angriff von Nationalisten auf einen Bus mit Flüchtlingen durchgeführt, und am 7. Oktober wurde ein Versuch unternommen, das Zentrum des finnischen Roten Kreuzes Lammi anzubrennen. Gleichzeitig aktiviert sich in Deutschland wieder die PEGIDA Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), die anfängt, regelmäßig Tausende Menschen auf ihren Demonstrationen zu sammeln. Dabei wurde die Höchstzahl der Demonstranten nach den Terroraktionen von „Charlie Hebdo“ vermessen. Und wenn anfänglich daran nur radikale Fußballfans teilnahmen, so wird die Reichweite von PEGIDA immer breiter.
Die Situation um die Flüchtlingslager ist heute sehr angespannt – sie geratet offensichtlich außer Kontrolle, und bei den Polizei Mitarbeitern für den Schutz der Flüchtlingsheime spürt man einen starken Mitarbeitermangel. Darüber hat vor kurzem der Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt auf einer Presse-Konferenz berichtet. Nach seinen Angaben musste die Polizei in Hamburg bereits mehr als 1000 Mal zu Flüchtlingsheimen eintreffen, und in Baden-Württemberg – mehr als 2000 Male.
Man kann aber nicht nur das Wachstum von radikalen Tendenzen in der europäischen Gesellschaft sehen, sondern auch Popularitätszunahme der rechten und ultrarechten Parteien. In einzelnen Regionen Frankreichs erreicht die Partei „Front de National“ und ihre Vorsitzende Marine le Pen wegen der Situation mit den Flüchtlingen 40% der Stimmen. In Wien erreichte die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ein Ergebnis von 32,4% der Stimmen – der höchste Wert in der ganzen Geschichte. Besonders aussagend ist die Tatsache, dass das Flüchtlingsthema bei den Wahlkampagnen ein zentrales Thema war. In Deutschland, basierend auf den letzten Umfragen, ist das Volk zwar noch nicht bereit, die Stimmen in die Hände der Rechtsradikalen NPD zu geben, aber ist langsam schon enttäuscht mit Merkels Politik und ist immer mehr bereit, für die Euroskeptiker und Konservative aus der Partei „Alternative für Deutschland“ zu wählen.
Im Ganzen ist die Situation sehr alarmierend, während das politische und ideologische System in Europa in ihrem jetzigen Zustand nicht in der Lage ist, die Probleme auch nur in geringster Weise zu lösen. Und je mehr offensichtlich das wird, desto rechtsradikaler wird die Stimmung in der Gesellschaft.
Der Multikulturalismus, der keinen ausgeprägten ideologischen Überbau besitzt und der berufen ist, nur den Status Quo zwischen den Vertretern der verschiedene Kulturen und Religionen zu halten, ist nicht in der Lage, solche Belastung auszuhalten. Ein Versuch, andere Konzepte des freundlichen und friedlichen Zusammenlebens in Europa zu finden, während der Zusammenfall des Multikulturalismus bereits diskutiert wird, welcher bereits schon seit Jahrzenten anhält, wird nicht gestartet. An den Glauben in den Multikulturalismus, als einen rettenden Strohhalm, greift sowohl das heutige europäische Establishment, als auch die Vertreter der liberalen und linken Ideen. Jedoch schafft die Existenz von so einem Strohhalm nicht, die auch so schon bis an die Grenzen gespannte europäische Gesellschaft zu beruhigen. Denn die Feinheit der kulturellen Gegensätze und die Sackgasse der Idee des Multikulturalismus sind sogar für einen normalen Bürger offensichtlich, auch ohne jegliche Hilfsmittel. Aber das schlimmste ist, dass die Diskussion des Versagens des Multikulturalismus komplett den Rechten und Ultrarechten Kräften ausgehändigt wurde. Ist das ein Zufall?
Im Endeffekt haben wir praktisch eine alternativlose Situation: den Europäern wird die Wahl zwischen dem bis zum Erbrechen langweiligen und Sozium sprengenden Multikulturalismus als eine Art giftige Frucht des liberalen politischen Gedankens, oder – dem „Vorschlag“ von verschiedenen rechten Kräften. Einen komplett neuen Ansatz, der ein friedliches Miteinander verschiedener Menschen mit verschiedenem Glauben und Kulturen bringt und nicht zu einer Widerbelebung eines neuen Reiches führen wird – wird von niemanden vorgeschlagen.
Obwohl es diesen alternativen Weg gibt: es reicht aus, wenn man nach Osten schaut und sich die russische Erfahrung sowohl der imperialen Zeit, als auch der sowjetischen Periode ansieht, wo ein multinationaler und multireligiöser Staat für das Erreichen eines für alle gemeinsamen Zieles bewegte. Man nennt die Russische Erfahrung ja nicht umsonst die Symphonie der Völker. Um eine linke Antwort für das Flüchtlingsproblem zu finden, gibt es keine andere Möglichkeit, als diese Erfahrung zu studieren. Das ist die einzige Möglichkeit, das vierte Reich zu verhindern und die linken Kräfte in Europa zu konsolidieren im Kampf für den Humanismus und Menschenwürde.
Die Grundlage für diesen Artikel ist der russische Artikel aus unserer Zeitung “Das Wesen Der Zeit”, und kann hier nachgelesen werden.