Einführung in die Problematik
Das Traurige am Begriff „Faschismus“ ist – obwohl es eine große Menge von stark ausgeprägten faschistischen Bewegungen gibt – dass er im gesellschaftlichen Bewusstsein sehr vage und unbestimmt aufgenommen wird. Dies liegt daran, dass der Begriff aktiv im politischen Kampf benutzt wird. Wie eine Art Etikett, das man seinen politischen Gegnern anhängt. Es gibt wohl kaum eine Bewegung, kaum eine staatliche Politik, die heute nicht die Beschuldigung des Faschismus in der einen oder anderen Form ertragen musste. Die Unbestimmtheit des Begriffs „Faschismus“ trat so ziemlich seit der Entstehung auf. So haben bereits in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts die europäischen Kommunisten das Schimpfwort „Sozial-Faschisten“ in Bezug auf die Sozial-Demokraten benutzt, während diese ihrerseits den Begriff „Kommunofaschismus“ für die Kommunisten anwendeten. Heutzutage benutzt man den Begriff auch im Alltagsgebrauch. Oft wird, wenn man einen Menschen als „Faschisten“ bezeichnet, nicht sein Bekenntnis zur faschistischen Ideologie, sondern eher seine äußerste Brutalität oder Gefühlslosigkeit gemeint.
Der Begriff „Faschismus“ wurde zum Synonym für repressive Aktionen und Militärverbrechen jeder Art. Die Bombardierungen von Serbien durch die NATO-Streitmacht werden in der russischen Gesellschaft oft als Faschismus angesehen. Auf der anderen Seite wurde das Einführen des russischen Militärs auf die Halbinsel Krim und der darauffolgende Anschluss der Krim an die Russische Föderation in manchen westlichen Massenmedien als Analogie zur Hitlerschen Annexion der Sudeten im Jahr 1938 betrachtet.
Genau so wurden viele harte, diktatorische politische Systeme als „faschistisch“ bezeichnet. Die UdSSR sah im Pinochet-Regime in Chile einen faschistischen Staat. Die USA wiederum beschuldigten das Regime von Saddam Hussein des Faschismus. Mit der leichten Hand der Bush-Administration und einer Reihe von amerikanischen Publizisten wurden verschiedene islamische terroristische Organisationen, wie Hisbollah und al-Qaida unter dem Namen „Islamofaschismus“ vereint. Der deutsche Historiker Stefan Plaggenborg geht sogar noch weiter. Er stellt die Frage, ob ein „antifaschistischer Faschismus“ möglich ist. Plaggenborg führt eine direkte Parallele zwischen den wachsenden nationalistischen Stimmungen in Russland, manchen Praktiken der öffentlichen Darstellung des Präsidenten Putin und dem faschistischen Italien mit seinem Personenkult um Mussolini. Man benutzt also den Begriff „Faschismus“ sowohl in Bezug auf konkrete Taten, als auch auf bestimmte politische Ideen. Es existiert eine gefährliche Tendenz, den Begriff „Faschismus“ im politischen Kampf zu benutzen.
Aber die Verschwommenheit des Begriffs „Faschismus“ ist nicht nur auf die aktive Instrumentalisierung im politischen Kampf, sondern auch auf seine innere ideologische Struktur zurückzuführen. Das liegt daran, dass der Faschismus bewusst so konstruiert wurde, dass er in sich verschiedene mit einander nicht vereinbare Ideen vereint (darauf werden wir etwas später zurückkommen). Daraus entwickelten Faschismus-Forscher einen allgemeinen Faschismus-Begriff. Diese Richtung in der Wissenschaft tendiert dazu, verschiedene faschistische Strömungen unabhängig voneinander zu untersuchen.
Jedoch wird auch dies von vielen rechten Organisationen und Ideologien benutzt, um den Begriff „Faschismus“ von nazistischen Ideen zu bereinigen und gleichzeitig seine durchaus faschistischen Ideen zu legitimieren. So wird z.B. auch die linke Ideologie oft als „faschistisch“ bezeichnet (Linksfaschismus). So hat in den USA der rechtskonservative Publizist Jonah Goldberg diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet – „Liberaler Faschismus“, denn in Augen der Amerikaner ist das Wort „liberal“ ein Synonym für „links“. Und tatsächlich, benutzt eine Reihe von faschistischen Bewegungen in ihrem Programm die linke Rhetorik, die mit den offen rechten Ideen koexistiert. Die Versuche von rechten und faschistischen Bewegungen, die Aufmerksamkeit nur auf eine Seite des Problems zu lenken und die andere einfach auszublenden, ist eine banale Manipulation, die gemacht wird, um sich von der „faschistischen Last“ zu befreien.
Solche Manipulationen finden statt, wobei die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrzenten komplett ignoriert werden. Obwohl es mehrere Tendenzen in der Faschismustheorie gibt, sind die meisten Wissenschaftler doch der Meinung, dass sie einen Teil von einem Ganzen bilden. Und obwohl es keine einheitliche Definition des Faschismus gibt, sind die verschiedenen Richtungen der Faschismus-Forschung sich in vielem ähnlich.
Diese Serie von Artikel wird folgende Struktur besitzen. In den ersten zwei Teilen, wird ein kleiner Exkurs in die Faschismusforschung gewährt. Dort werden die größten Teile der Faschismustheorie gezeigt, die für ein generelles Verständnis der Thematik notwendig ist. In den nächsten Teilen werden die Besonderheiten des Faschismus nochmal dargestellt, also noch mal jeder Teil des Faschismus erklärt und mit Beispielen versehrt. Diese Darstellung ist unsere Sichtweise auf die Welt und ist dementsprechend ausschlaggebend für ein adequates Verständnis über das Wesen unserer Zeit.
Die Marxistische Theorie
Die Marxisten waren die Ersten, die den Faschismus als eine politische und soziale Erscheinung untersuchten. Sie besaßen eine internationale Struktur „Komintern“, die die Versuche der Faschismusforschung koordinieren konnte. So gab es bereits im Jahr 1923 Direktiven, die die Notwendigkeit der Forschung des Nationalsozialismus betonten. Jede Bewegung, die es schafft, selbst einen kleinen Teil der Arbeiterklasse zu sammeln, verdient Aufmerksamkeit. So wurden die Programme, Literatur, innere Strömungen, Geldflüsse und weiteres analysiert.
Im Jahr 1926 gab der Vorsitzende der kommunistischen Partei Italiens Antonio Gramsci folgende Definition des Faschismus: „Der Faschismus als Bewegung der bewaffneten Reaktion, die sich das Ziel stellt, die werktätige Klasse zu zersplittern und zu desorganisieren, um sie zu entwaffnen, betritt die Bühne der traditionellen Politik der italienischen herrschenden Klassen “. Das heißt, Gramsci sah den Faschismus als eine kapitalistische Erscheinung. Ein blindes Instrument in den Händen der herrschenden Klasse, die auf die Kampfeskalation setzt. Gramscis Definition basierte auf seiner eigenen politischen Erfahrung, denn er hatte ja die Faschisten unmittelbar erlebt.
Ein etwas theoretischeres Konzept hat August Thalheimer vorgestellt. Thalheimer knüpfte an den Klassiker an. Aus dem Werk von Marx „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ leitete er die Theorie des „Bonapartismus“ ab. Danach ist das Machtergreifen des Faschismus nur in der „Grauzone“ möglich, in der einerseits die Herrschenden nach den hergebrachten Prinzipien nicht mehr herrschen können, andererseits aber das Proletariat nicht genügend Kraft besitzt, um die Macht zu erobern. Matthew Lyons hat den „Bonapartismus“ auf folgende Weise charakterisiert: „Die faschistische Diktatur, genau wie die Diktatur von Louis Bonaparte, ist eine „Autonomisierung der exekutiven Macht“ – die Klasse der Kapitalisten geben die Kontrolle über den Staat auf, um ihren sozial-ökonomischen Status zu bewahren“[1]. Die Bonapartismustheorie hatte die Modernisierungstheorie beeinflusst. Sie ermöglichte es zu verstehen, dass der Erfolg des Faschismus oftmals vom Mangel an Modernisierung der Gesellschaft abhängt. Gramsci und Thalheimer sind sehr ähnlich in ihren Schlussfolgerungen, jedoch ist Thalheimer theoretischer und begrenzt sowohl die Kraft, als auch die Möglichkeiten des Proletariats.
Die Schwäche dieser Theorien ist, dass sie den Faschismus nur als Instrument in den Händen der Bourgeoisie sehen. Den Linken der 20-er Jahre kam es nicht in den Sinn, den Faschismus als ein autochthones politisches und weltanschauliches Projekt anzusehen. Das war ein großer Fehler, der im Endeffekt dazu führte, dass die Kommunisten die Gefahr des faschistischen Projektes unterschätzten. Es gab einige Kommunisten, die vor dieser Tendenz warnten. So schrieb der italienische Kommunist Palmiro Togliatti: „Zu denken, dass das Machtergreifen des Faschismus ein Erfolg der kleinen und mittleren Bourgeoisie ist – ist ein Fehler, den viele politische Schriftsteller begehen und die unwahrscheinlichen Prognosen aufstellen.“ [2] Jedoch blieben solche Aussagen eine Einzelerscheinung. Sowohl Gramsci, als auch Thalheimer hatten in einer Hinsicht Recht. Überall, wo der Faschismus an die Macht kam, geschah das nur mit Hilfe der politischen, finanziellen und militärischen Eliten.
Eine kurze Definition des Faschismus, die zu einer Art Mantra der Faschismusforschung wurde, war die Definition, die der bulgarische Kommunist Dimitrow am VII. Weltkongress der Komintern gab, die so genannte „Dimitrow-These“. „Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen, imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. Der Faschismus ist keine über den Klassen stehende Macht und keine Macht des Kleinbürgertums oder des Lumpenproletariats über das Finanzkapital. Der Faschismus ist die Macht des Finanzkapitals selbst. Das ist die Organisierung der terroristischen Abrechnung mit der Arbeiterklasse und dem revolutionären Teil der Bauernschaft und der Intelligenz. Der Faschismus in der Außenpolitik ist der Chauvinismus in seiner brutalsten Form, der einen tierischen Hass gegen die anderen Völker kultiviert“. Im liberalen Umfeld ist man es gewöhnt, über den Schematismus und die Vereinfachung dieser Definition zu lachen. Jedoch gehören alle oben genannten Eigenschaften des Faschismus – eine offene terroristische Diktatur, die Macht des Finanzkapitals, Organisierung der terroristischen Abrechnung, Chauvinismus – praktisch zu allen westlichen Definitionen des Faschismus.
Im Großen und Ganzen, wenn man den marxistischen Beitrag zur Faschismusforschung zusammenfasst, gehört die sehr detaillierte Untersuchung der wirtschaftlichen Prämissen des Faschismus und seine soziale Basis zu seinen starken Seiten. Weiterhin wurde die Rolle des Monopolkapitals insoweit gut aufgedeckt, dass der Antikapitalismus der Faschisten nur einen oberflächlichen Charakter besitzt. Lyons schreibt: „Die Erfahrung zeigt, dass der faschistische Antikapitalismus nur eine Opposition zu den „Bourgeoisie-Werten“, einzelnen politischen Tendenzen, sowie „parasitären“ Vertretern des Kapitals (z.B. jüdische Bankiers) bedeutet, jedoch nicht zu dem eigentlichen kapitalistischen System“[3]. Zu seinen Schwächen kann man die Vernachlässigung der Untersuchung der faschistischen Ideologie sowie das Beharren darauf, dass der Faschismus lediglich ein Instrument in den Händen der Bourgeoisie ist zählen.
Im nächsten Artikel wird die Theorie des Totalitarismus, der Freudomarxismus und die Frankfurter Schule, als auch die Theorie von Ernst Nolte beschrieben.
Anmerkungen:
[1] Aus dem englsichen. Original: “The fascist dictatorship, like that of Louis Bonaparte, represented “the autonomisation of the executive power,” in which the capitalist class gave up control of the state in order to protect its socioeconomic”.
[2] Orig. Феррара М. и М. Беседуя с Тольятти. М., 1954, С. 91. (Deutsche: Ferrara M. und M. Gespräch mit Togliatti, 1954, S. 91)
[3] Aus dem englischen. Original: “Where it has been tested, fascist anti-capitalism has meant opposition to “bourgeois values,” specific policies, or a “parasitic” wing of capital (such as Jewish bankers) -– not the capitalist system.”